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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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Nachfahren beinahe alles, was sie sonst noch hatten: Titel, Besitz, Lebensstil, Wissen – besonders Wissen. In einer Welt, in der das Chaos herrscht, werden keine Bücher kopiert oder Bibliotheken gepflegt. In einer solchen Welt haben gebildete Männer keine Zeit, noch gebildeter zu werden. In einer solchen Welt wird kein junger Gelehrter von einem grammaticus unterrichtet und kein Wissen Jahr für Jahr weitergegeben.
    In der Zeitspanne zwischen der Plünderung Roms durch Alarich im
    Jahre 410 und dem Tod des westlichen Kaisers im Jahre 476 wurde
    das Imperium immer instabiler. Die Großgrundbesitzer – mehr und
    mehr ihre eigenen Gesetzgeber ignorierten die Dekrete des Kaisers, sie gingen sogar soweit, die großen öffentlichen Gebäude als Stein-brüche für ihre eigenen Paläste zu benutzen. Die Stadt Rom, die die Herrscher verlassen und gegen die leichter zu verteidigenden Sümpfe Ravennas eingetauscht hatten, mußte mit ansehen, wie ihre herrlichen öffentlichen Gebäude privater Gier zum Opfer fielen. Obwohl der
    Kaiser jedem Beamten, der an dieser Zerstörung beteiligt war,
    schreckliche Strafen androhte – die Zahlung von fünfzig Pfund Gold für einen Magistrat, Auspeitschen und Verlust beider Hände für einen Untergebenen –, schritt die Plünderung ungehindert fort. Die Wandalen waren nicht die einzigen Vandalen. Die gerade, solide gepflasterte römische Straße, die den Unebenheiten der jeweiligen Landschaft
    getrotzt hatte und jahrhundertelang ein Symbol für sicheres und
    unbehelligtes Reisen gewesen war, stand nun für unliebsame Aben-

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    teuer. Nicht nur gab es Räuberbanden, die immer öfter aus über-
    schuldeten und ihres Besitzes verlustig gegangenen Menschen be-
    standen; des Kaisers eigene curiosi (eine Mischung aus Straßenpolizei und Grenzwache) nahmen nun Bestechungsgelder von verzweifelten
    Reisenden, die sichere Orte anstrebten, und verzögerten oft die Wei-terreise jener, die nicht mehr zahlen konnten. Überall auf dem Lande
    – einst Inbegriff römischen Friedens – formierten sich illegale Erpres-serbanden die Vorläufer der Mafia. Curiales und anderen Stadtbür-gern der Mittelklasse, die es gewohnt waren, ihre Kinder in die Berge zu schicken, wo sie von Schafhirten in der gesunden Luft versorgt wurden, war es auf einmal nicht mehr möglich, diese Kinder zurück-zubekommen. Die Kinder wurden in die unwegsamen Berge ver-
    schleppt und als Hirtensklaven brutal ausgenutzt, und die Bezeichnung Hirte wurde zum Synonym für Dieb, Entführer und
    Kinderhändler. Die Angst vor solcher Art von Kindesentführung
    spiegelt sich in den Figuren verlorener Kinder und abscheulicher
    Erwachsener wieder, die in den tiefen Wäldern der europäischen
    Märchen herumgeistern.
    Als Angriffe der Barbaren nicht mehr eine vage Möglichkeit, son-
    dern an der Tagesordnung waren, gingen bei Plünderungen viele
    Besitz- und Kaufdokumente verloren; so eröffneten sich den discusso-res (den Ober-curiales ) des Kaisers phantastische Gelegenheiten. Diese habgierigen Elstern erschienen mit großer Gefolgschaft auf einem
    soeben geplünderten Gut und verlangten von dem verwirrten Besit-
    zer, daß er ihnen sämtliche Dokumente vorzeige. Was darauf folgte wie es das reformierte, jedoch ineffektive Edikt des Kaisers selbst beschreibt –, läßt einem die Haare zu Berge stehen: » innumerae deinde caedes, saeva custodia, suspendiorum crudelitas, et universa tormenta «
    (»daraufhin ungezählte Gemetzel, rigorose Festnahmen, die Brutalität des Hängens und jeder Art der Folter«).
    Die Grenzen des Reiches wurden enger. Ende der dreißiger Jahre
    des fünften Jahrhunderts ging die Getreideebene Nordafrikas – die Kornkammer Roms – an die Wandalen verloren, die bereits große
    Teile Spaniens und Galliens eingenommen oder überfallen hatten.
    Fast das ganze Jahrhundert über zogen verschiedene Armeen der
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    Goten und Hunnen westlich über die Donau und dezimierten die
    östlichen Provinzen, marschierten kreuz und quer über den italienischen Stiefel, lösten Panik aus und hinterließen Verwüstung. Als das fünfte Jahrhundert begann, hatte die römische Garnison in Britannien bereits den Rückzug angetreten – so verzweifelt wurden an anderer Stelle Soldaten gebraucht. Im Jahre 410, dem Jahr, in dem Alarich Rom plünderte, hatte man sie vollständig abgezogen und Britannien mehr denn je den Verwüstungen durch die germanischen Angeln und
    Sachsen an seinen östlichen Ufern überlassen – sowie den noch mehr

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