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Wie ein boser Traum

Wie ein boser Traum

Titel: Wie ein boser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Webb Debra
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und erging sich derart in Selbstmitleid? Sie konnte etwas tun. Musste etwas tun.
    Das Gesetz konnte ihn zwar freilassen, aber sie selbst brauchte ja nicht davon abzulassen, zu beweisen, was sie tief im Inneren wusste.
    Er war schuldig.
    Er würde büßen für das, was er getan hatte. Diese läppischen zehn Jahre reichten als Sühne beileibe nicht. Dieser Tag hatte immer kommen können. Sie musste nur stark sein. Es war erst dann vorbei, wenn sie es entschied.
    Emily stützte sich mit einer Hand auf dem Toilettensitz ab und erhob sich. Während sie sich immer noch ein wenig unsicher auf den Beinen fühlte, betätigte sie die Spülung und schob die Kabinentür auf. Sie wusch sich das Gesicht, ging ins Büro zurück und erstellte dabei mental eine Liste der Dinge, die sie noch erledigen musste, bevor sie ging. Den Schreibtisch aufräumen, ihre Anrufe auf die

    Zentrale umstellen und die zu erledigenden Arbeiten unter zwei der Angestellten in ihrer Abteilung aufteilen.
    In ein paar Stunden könnte sie auf dem Weg nach Pine Bluff sein, um zu tun, was getan werden musste.
    Clint Austin würde nicht lange auf freiem Fuß sein.

2
    Jackson County
11.18 Uhr
     
    Clint betrachtete die vertraute vorüberziehende Landschaft, als wäre er ein Verhungernder, der zum ersten Mal vor einem »All you can eat«-Büfett stand. In den vergangenen Jahren hatte sich verdammt viel verändert, doch je näher er Pine Bluff kam, desto mehr wirkte alles wie früher, als hätte dieses Kaff, seine Heimatstadt, während dieser Zeit in einem Kälteschlaf verharrt. Tief in ihm mischten sich Furcht und freudige Erregung.
    »Hörst du mir überhaupt zu, Clint?«
    Er richtete einen seiner kalten Blicke, die ihm öfter Zoff erspart hatten, als er sich erinnern konnte, auf den Fahrer. »Ja, klar.«
    Drei Stunden waren sie schon unterwegs, und Polizeichef Ray Hale hatte mehrmals versucht, ein Gespräch zu beginnen, aber Clint hatte keine Lust auf ein Gespräch, sich nicht einmal darum bemüht. Dass Ray wahrscheinlich sein einziger Freund war, hätte Clint eigentlich Motivation genug sein müssen, war es aber nicht.
    Im Grunde waren er und Ray nie Freunde gewesen,
nur Bekannte. Ray hatte ein Jahr vor Clint den Highschool-Abschluss gemacht. Vor zehn Jahren war er ein unerfahrener Neuling bei der Polizei von Pine Bluff gewesen, inzwischen aber war er Chief und, um die Wahrheit zu sagen, vermutlich der Hauptgrund dafür, warum Clint frei war.
    Er war frei.
    Clint atmete tief durch. Selbst die Luft roch anders außerhalb der verdammten Gefängnismauern. Verschwunden war der durchdringende Gestank nach tagealtem Schweiß und fortwährender Angst. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Er würde nie mehr dorthin zurückkehren.
    »Ich weiß, es ist nicht fair, Clint«, redete Ray weiter, obwohl es Clint gar nicht interessierte, »aber die Leute hier in der Gegend werden einen reuigen, bescheidenen Mann respektieren. Kannst du dir vorstellen, eine Zeit lang damit klarzukommen?«
    Als gäbe er auch nur einen Furz darauf, was die Leute in diesem verfluchten Kaff dachten. Ray sollte endlich den Mund halten. Nie im Leben würde Clint so fühlen oder reden, wie Ray es erwartete.
    »Mr. Higgins bietet dir einen Job in seiner Kfz-Werkstatt an, außerdem kannst du ins Haus deiner Mutter ziehen.«
    Plötzlich überfielen ihn Schuldgefühle. Seine Mutter war tot. Seit sechs Jahren schon. Sein Gesuch, zu ihrer Beerdigung gehen zu dürfen, hatte der Gefängnisleiter abgelehnt. Clint ballte die Fäuste vor Verachtung. Dieser Drecksack, wenn er den zwischen die Finger bekäme, brächte er ihn um und hätte darüber noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen.

    Aber seine Wut durfte ihn nicht überwältigen. Das hatte er in der ersten Zeit zugelassen und dafür gebüßt. Wer im Gefängnis seinem Zorn freien Lauf lassen wollte, musste ihm auch Nachdruck verleihen können, notfalls mit Gewalt. Aber was zum Teufel wusste ein Neunzehnjähriger, der zu Hause geglaubt hatte, ein harter Kerl zu sein, schon darüber, wie man in einem Gefängnis, zusammengesperrt mit hartgesottenen Kriminellen, überlebte?
    Nichts, gar nichts.
    »Alles ist ziemlich stark reguliert«, redete Ray weiter, entschlossen, die einseitige Unterhaltung nicht abbrechen zu lassen. »Denk daran, dass ein Job zu den Bedingungen deiner Bewährung gehört.«
    Clint war selbst überrascht, als er Ray antwortete: »Ich rede mal mit Higgins wegen dem Job.« Seine Stimme klang rau und unvertraut, sogar für ihn, aber wo er

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