WIE GUT IST IHRE ALLGEMEINBILDUNG
in den sechziger oder siebziger Jahren.
In welchen denn?
Dass wir zu viele Studierende haben, nein: viel zu wenige Lehrende. Unser kleines Institut muss mehr als 1000 Studierende betreuen. In einer einzigen Vorlesung sitzen bis zu 300, die ich nach Semesterende sofort prüfen darf. Die Zwangsjacke ist, dass wir das Studium alla Bolognese reformieren, studienbegleitende Prüfungen durchführen müssen und zugleich immer mehr Studierende aufnehmen. Bald kommt noch ein doppelter Abiturjahrgang hinzu, dank achtjährigem Gymnasium. Reichlich viele konkurrierende Ziele auf einmal.
Ist das nicht ein bisschen einfach, die Schuld der großen Zahl von Studenten zuzuschieben? Diesen heiligen Egoismus, von dem Sie sprachen, haben doch die Professoren ganz allein zu verantworten.
Das Problem ist schlicht und ergreifend: Ich habe studiert zu einer Zeit, als 8 Prozent eines Jahrgangs zur Uni gegangen sind. Heute streben wir 40 Prozent an. Hochmütig betrachtet gilt jedoch: Der Genpool hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht so entscheidend verändert.
Da kommen wir mit einem sozialdemokratischen Argument: Der Genpool ist früher einfach nicht richtig ausgeschöpft worden.
Durchaus, ich bin doch gar nicht dagegen, dass heute sehr viel mehr junge Leute als früher studieren. Für das Bürgertum selbst war Bildung doch einmal die Möglichkeit zum Aufstieg. Im 18. Jahrhundert konnte sich das Bürgertum nur auf diese Weise gegenüber dem Adel behaupten, von dem es so schön heißt: bene nati mediocriter edocti.
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Wohlgeboren und mäßig gebildet. Das stimmt heute noch in Maßen. Der Adel ist nicht unbedingt eine Wissensgesellschaft – die breite Bevölkerung aber auch nicht.
Heute erhalten eben wiederum neue Gruppen von Menschen den Zugang zu höherer Bildung, nicht nur das klassische Bürgertum, sondern auch die Kinder anderer Leute.
Genau, das darf man nicht geringschätzen: Es kommen jetzt wesentlich andere Studenten an die Universität als noch vor 40 Jahren. Die acht Prozent waren stark nach sozialen Kriterien ausgewählt, sodass bildungsfernere Schichten eindeutig benachteiligt blieben. Ich bin Bildungsbürgersohn. Meine Eltern hatten zwar nicht viel, aber volle Bücherregale – und deshalb war ich im Vorteil. Die Universitäten durften damals ein bestimmtes Vorwissen voraussetzen. Mit einem humanistischen Abitur war man studierfähig, auch wenn es mittelprächtig ausfiel.
Und heute?
Jetzt haben wir unter den Studierenden auch die intelligenten Kinder von Arbeitern und kleinen Angestellten, aus Familien mit Migrationshintergrund. Gegenüber einem typischen Bildungsbürgerkind sind sie bei bestimmten Fächern im Nachteil, etwa in Geschichte – oder auch bei einem Wissenstest wie dem Studenten-Pisa, in dem viel angelesenes Faktenwissen abgefragt wird.
Ist es denn nicht das Wesen von Wissenstests, dass Wissen abgefragt wird?
Sicherlich. Aber Sie hätten mehr Fragen stellen können, die zum Nachdenken über die Fächerzäune hinaus ver- leiten – auch nicht ganz ernst gemeinte. Zum Beispiel: Welches Potenzmittel hätte Karl der Große benutzt, sollte er eins gebraucht haben? Herkömmliches historisches Wissen reicht da nicht, es braucht schon den Blick auf Naturwissenschaftliches und das Interesse für den Sitz im Leben. Ohne Bücherwand, ohne Gelegenheit und Willen, sie zu benutzen, sind Sie im Hintertreffen.
Den Nachteil kann die Schule nicht ausgleichen?
Nein. Die einen mögen als Rennpferd gezüchtet worden sein, die anderen haben Bleiplatten in den Satteltaschen und brauchten mehr Unterstützung – etwa durch Brückenkurse an der Universität oder generell eine engere Verzahnung von Uni und Schule. Die Ausgangsvoraussetzungen sind nicht gleich, es starten nicht alle von der gleichen Linie. In Wuppertal finden Sie nicht wenige solcher Studierenden, bei denen ich keinen klassischen Bildungskanon voraussetzen darf.
Wer studiert denn bei Ihnen?
Bei uns studiert auch der Amateurboxer aus Köln, der gern Sportlehrer an Haupt- und Realschulen werden will – wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden ist, alle Schulen brauchen gute Sportlehrer. Was wählt er neben Sport als zweites Fach? Geschichte – eher aus Verlegenheit; das Fach gilt zudem als weich, wenn auch zu Unrecht. Frage ich ihn in der Prüfung: Wo liegt Jerusalem? Ja, das wisse er jetzt nicht. Doch, sagt er schließlich, Irak. Zweiter Anlauf: Ach ja, Ägypten. Oje, sag ich, gib ihm noch »ne Schangse«. Darauf die dritte
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