Wie Inseln im Strom
sagte sie mit grimmiger Miene. “Jetzt, da er sich als reicher Menschenfreund verkleidet hat, wollen wir ihm doch nicht die Chance verweigern, zur besseren Gesellschaft zu gehören, nicht wahr?”
Oben auf dem alten Heuboden, direkt neben dem auf die Bühne gerichteten Scheinwerfer, saß Gwen Morgan und schaute auf ihre Mutter hinunter, die gerade mit irgendeinem reichen Knaben im Smoking plauderte. Widerwillig gab sie zu, dass Lacy heute Abend atemberaubend aussah. Das strahlende Blau stand ihr, und die Entscheidung, keine Ohrringe zu tragen, war mutig, aber richtig gewesen. Verglichen mit Malcolm Morgans eleganter Witwe wirkten alle anderen Frauen fast ordinär.
Aber wann sah Lacy Morgan nicht perfekt aus? Seit zehn Jahren gab sie Gwen das Gefühl, ein hässliches Entlein zu sein, das nie richtig angezogen war. Manchmal war Gwen sich geradezu unsichtbar vorgekommen. Jetzt drehte sie den Scheinwerfer ein wenig nach links, bis der Lichtstrahl auf Lacys exquisit frisiertes Haar fiel. Makellos wie immer, dachte sie und strich sich über ihre widerspenstigen, ewig zerzausten Locken. Vor Jahren hatte sie einmal versucht, sie glatt zu bügeln, und sich dabei die Kopfhaut verbrannt.
Die Nonnen des Nobelinternats, in dem Gwen damals eingekerkert war, hatten ihren Vater angerufen. Er war wütend gewesen, dass man einen so viel beschäftigten Mann wie ihn mit einer solchen Lappalie behelligte. “Lass diese Experimente”, hatte er gebellt. “Du bist schon problematisch genug. Also verschone wenigstens deine Haare.”
Problematisch. Selbst mit dreizehn hatte sie gewusst, dass das nur eine Umschreibung für ‘enttäuschend’ war. Alles an ihr enttäuschte ihn – vom Haar bis zu den Schulnoten, vom miserablen Aufschlag beim Tennis bis zu ihrer hartnäckigen Akne. Und besonders problematisch war ihre Angewohnheit, immer dann im Weg zu sein, wenn ihr Vater mit der schönen Lacy allein sein wollte.
Lacy Mayfair Morgan. Ihre Stiefmutter. Die junge Braut ihres Vaters. Ein Braut, die nur fünf Jahre älter als Gwen war. Eine Braut, die zwar auf der falschen Seite der Stadt geboren worden war, an der jedoch nichts an ihre unfeine Herkunft erinnerte.
Gwen beobachtete, wie Lacy sich von dem Typen im Smoking abwandte, um mit einem der anderen Geldsäcke im Pinguin-Look zu reden. Plötzlich bekam sie große Lust, den eleganten Nackenknoten ihrer Stiefmutter mit etwas zu bewerfen – einem mit Wasser gefüllten Luftballon, zum Beispiel.
Ach, nein. Wozu? Lacy würde selbst so eine Szene selbstsicher überstehen. Gwen sah, wie ihre Stiefmutter außer Reichweite schlenderte, und seufzte gereizt. Ausgerechnet jetzt musste Teddy Kilgore an ihrem Nabelring herumfummeln. Sie packte seinen Daumen und drückte kräftig zu.
“Wenn du das nicht sofort lässt, breche ich dir jeden Finger einzeln”, flüsterte sie scharf.
Hier oben war es zu dunkel, als dass er ihren drohenden Blick hätte sehen können, aber sie funkelte ihn trotzdem an. Mit einundzwanzig war Teddy Kilgore zwei Jahre jünger als sie, ein Musterstudent, der Arzt werden wollte und der Augapfel seiner snobistischen Mutter war. Und unglaublich langweilig. Aber seit Gwen zum ersten Mal mit einem BH aus dem Internat nach Hause gekommen war, versuchte Teddy, bei ihr zu landen.
Manchmal gefiel es ihr, manchmal nicht. Im Moment wünschte sie, er würde sich noch ein Bier holen. Dann würde er vielleicht einschlafen, und sie könnte sich endlich darauf konzentrieren, die Stiefhexe zu beobachten.
Außer Teddy wusste niemand, dass Gwen wieder in der Stadt war. Irgendwann würde sie sich natürlich zeigen müssen. Schließlich brauchte sie einen Platz zum Schlafen. Und einen Vorschuss auf ihren monatlichen Scheck, den nur Lacy ihr geben konnte. Aber erst wollte sie diese wenigen Minuten genießen, in denen sie sich ihrer Stiefmutter überlegen fühlen konnte.
“Verdammt, Teddy”, wisperte sie. Der junge Mann hatte ihren kleinen goldenen Nabelring zwischen die Zähne genommen. Wenn sie ihn wegstieß, würde es sie einen Streifen Haut kosten, also griff sie in sein seidiges schwarzes Haar und ballte die Hand zur Faust. “Das tut weh.”
Er hob den Kopf und machte einen Schmollmund, den er wahrscheinlich für sexy hielt. “Ach, komm schon. Wenn du nicht willst, dass Männer damit spielen, warum trägst du ihn dann?”
“Du sagst es, Teddy”, erwiderte sie, ohne ihren Griff zu lockern. “Männer. Leider fällst du nicht in diese Kategorie.”
“Schade.” Er versuchte,
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