Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
die zu kennen sich absolut nicht lohnt.«
Was für Figuren lohnt es, intim zu kennen? Edwin A. Peeples sagt in A Professional Storywriter’s Handbook, daß Figuren »die Einzigartigkeit wirklicher Menschen haben müssen. Ihr Verhalten sollte wie bei den meisten Individuen inkonsequent und widersprüchlich sein… Widersprüche machen Charakter aus.« Durch solche Kontraste werden wunderbar abgerundete, dreidimensionale Figuren zum Leben erweckt. Aus guten Figuren können durch Kontrast großartige Figuren werden, die kennenzulernen sich wirklich lohnt.
Großartige Figuren sind außergewöhnlich interessant. Würde man sie auf einer Cocktailparty kennenlernen, würde man hinterher anderen von ihnen erzählen wollen. Eine gute dramatische Figur ist also im gleichen Sinne interessant wie auch Menschen interessant sind. Okay, aber was macht Leute interessant?
Einige sind interessant, weil sie weit gereist sind. Sie waren beispielsweise in Indien oder mit dem Peace Corps in Mosambik oder mit dem National Geographie am Südpol.
Interessant sind auch Leute, die sich viele Gedanken über das Leben gemacht oder die feste und ungewöhnliche Überzeugungen haben. Vielleicht glaubt jemand, er hätte Elvis im Supermarkt gesehen. Vielleicht hat er für die Prohibition gestimmt, ist auf Ballonfahrt in Al- gerien gewesen oder wurde in der schlechten alten Zeit in Ost-deutschland verhaftet, weil er eine Marx-Statue mit einem Schneeball beworfen hat. Interessante Leute sind viel herumgekommen, haben alles mögliche gemacht und haben zahlreiche und ganz unterschiedliche Erfahrungen. Sie haben sich auf eine spirituelle Suche begeben, versucht, die Geheimnisse des Lebens zu lösen - mit anderen Worten, sie haben in vollen Zügen gelebt.
In Wie man einen verdammt guten Roman schreibt habe ich empfohlen, für alle wichtigen Figuren Biographien zu schreiben, und das ist auch sehr nützlich. Es hilft Ihnen, die Figuren vielschichtig und real zu machen. Doch außerdem sollten diese Biographien an sich schon interessante Geschichten sein. Schreiben Sie Biographien von Figuren, über die man, wären es wirkliche Menschen, auch tatsächlich Biographien schreiben würde.
Das ist ja alles schön und gut, sagen Sie. Aber Sie waren noch nie in Indien und haben zu Füßen eines erleuchteten Gurus gesessen, haben noch nie Polo gespielt oder im Chäteau de Rothschild diniert. Wenn Sie so etwas noch nie erlebt haben, wie sollen Sie denn dann dar- über schreiben?
Ganz einfach. Die Bibliotheken sind voll mit Berichten aus erster Hand von Leuten, die alles nur Erdenkliche gemacht haben. Wenn Sie über einen Boxer schreiben wollen, über eine Ballettänzerin oder über einen Haifischjäger, gehen Sie in die Bibliothek und stöbern Sie in ein paar Biographien herum. Sie werden erstaunt sein, was Sie alles finden.
Einmal angenommen, eine Ihrer Figuren ist eine Nutte. In jeder guten Bibliothek wird es zehn bis fünfzehn von Nutten geschriebene Lebensgeschichten geben. Das gleiche gilt für Nonnen, Heilige, Jockeys, Sportmäzene und U-Boot-Kapitäne.
Wenn Sie tatsächlich über einen Buchhalter schreiben wollen, das Telefonbuch ist voll davon. Rufen Sie doch mal einige an und stellen Sie sich vor. Laden Sie ein paar davon zum Essen ein und führen Sie sie in Ihrer Danksagung auf. Fragen Sie sie, was sie für Probleme am Arbeitsplatz haben, welche Befriedigung sie aus ihrer Arbeit ziehen, wie sie an den Job
gekommen sind, was sie sich für die Zukunft wünschen. Ob sie schon mal einen Betrüger erwischt haben und was sie da gemacht haben. Was sie vom Finanzamt halten.
Bohren Sie gründlich; stellen Sie harte Fragen. Wie geht es bei Abteilungsversammlungen zu? Wie viele heimliche Griffe in die Kasse bleiben unentdeckt? Sind Steuerprüfer bestechlich?
Sie verstehen, was ich meine. Sie brauchen die alltäglichen Details aus dem Leben dieser Leute.
Dabei schnappen Sie Meinungen und typische Sprechweisen auf, die Ihrem Roman die Art von Authentizität geben, wie sie beispielsweise in den Romanen von Joseph Wambaugh zu finden ist. Obwohl Wambaugh fast zwanzig Jahre als Polizist gearbeitet hat, treibt er sich immer noch unter Polizisten herum, um nicht zu vergessen, wie sie reden und handeln. Elmore Leonard sagt, er tut das gleiche. Amy Tan kennt sich sehr gut unter chinesischen Einwanderern in Amerika aus, über die sie sehr einfühlsam schreibt. Joseph Wambaugh, Elmore Leonard und Amy Tan schreiben alle drei verdammt gute Romane, in denen sie ihre
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