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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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dann irgendwann eine Affäre mit einem verheirateten Mann und bekommt einen Pseudo- Traumjob in einem Bereich wie Werbung, Journalismus, Spitzenimmobilien oder im Kunstbetrieb. Die schwache Hausfrau lernt schließlich, auf sich selbst gestellt zu sein, erkennt - jawohl - daß auch sie ein menschliches Wesen ist, das Respekt verdient hat, landet am Ende in einem Spitzenjob und heiratet Mr. Wunderbar.
    Hier ist eine andere Version dieser Geschichte, der schwache Buchhalter. Der schwache Buchhalter ist das männliche Gegenstück zur schwachen Hausfrau. Er ist ein Trampeltier auf ganzer Linie, naiv, ungebildet und vielleicht sogar ein bißchen blöde, und wird - wer hätte das gedacht - von seinem herzlosen Chef, einem gemeinen Schürzenjäger, tyrannisiert. Der schwache Buchhalter tut gegen sein Problem sehr wenig, außer über viele, viele Seiten hinweg zu leiden…
    Sie verstehen, was ich meine.
    Das Problem mit der Geschichte von der schwachen Hausfrau / vom schwachen Buchhalter ist, daß selbst die potentiellen Käufer solcher Geschichten - schwache Hausfrauen und schwache Buchhalter, die sich nach Freiheit sehnen - das Buch ablehnen werden. Warum? Weil man unmöglich Mitgefühl für eine Figur haben kann, die am Anfang so schwach ist, daß sie zu nichts weiter in der Lage ist, als zu leiden und sich in Selbstmitleid zu ergehen. Derartige Figuren bezeichnet Edwin A. Peeples in seinem Professional Storywriter’s Handbook (1960) als »erbärmlich«. Er sagt, wir verachten erbärmliche Figuren, »die nichts tun als leiden, auch wenn sie das stoisch tun.«
    Die Geschichte von der schwachen Hausfrau / vom schwachen Buchhalter scheitert, weil der schwache Protagonist so lange uninteressant ist, bis er »sich selbst gefunden« hat. Und bis dahin ist dem Leser längst die Lust vergangen.
    Natürlich ist es nicht grundsätzlich falsch, mit einer Figur zu beginnen, die schwach ist. Auch ist nicht grundsätzlich etwas gegen Figuren einzuwenden, die Hausfrauen oder Buchhalter sind. Shirley Valentine, eine Geschichte über eine schwache Hausfrau, war sowohl als Roman als auch als Theaterstück und Film äußerst erfolgreich. Was diese Figur interessant machte war, daß sie voller humorvoller und tiefgründiger Einsichten in ihrer Situation steckte, und außerdem tat sie etwas gegen ihre Misere - sie floh auf eine griechische Insel und hatte eine wilde Affäre.
    Das Problem besteht also nicht darin, daß die Figur ein Schwächling ist, sondern daß sie blockiert ist. Das heißt, sie kann sich nicht bewegen. Solche blockierten Figuren muß man unbedingt vermeiden. Erfinden Sie so viele Schwächlinge wie Sie wollen, sie können sich durchaus zu Goliathbezwingern und Drachentötern entwickeln, doch solche Figuren werden nicht wachsen, wenn sie nicht die Initiative ergreifen und sich in Konflikte stürzen. Wenn sie schwach und blockiert bleiben, haben sie in Ihrem verdammt guten Roman nichts verloren.
    Um einen verdammt guten Roman zu schreiben, müssen die Hauptfiguren, die Schwächlinge eingeschlossen, dynamisch sein.
    Eine dynamische Figur ist getrieben. Das heißt die Figur, also zum Beispiel Shirley Valentine, wünscht sich etwas ganz sehnlichst. Diese Sehnsucht ist der Dynamo, der solche Figuren anspornt und zum Handeln treibt.
    Blockierte Schwächlinge haben nur eine Dimension, sie leiden ständig. Dynamische Figuren haben widersprüchliche Wünsche und Gefühle, und sie werden von starken Empfindungen zerrissen, wie von Ehrgeiz und Liebe, Furcht und Patriotismus, Glaube und Lust oder was auch immer. Hier toben im Inneren emotionale Feuer; dynamische Figuren werden von unterschiedlichen Kräften in mehr als eine Richtung gezerrt. Dynamische Figuren lösen diese inneren Konflikte, indem sie aktiv werden, und das führt zu weiteren Konflikten in der Geschichte und im Inneren der Figur.

FIGUREN, DIE ES KENNENZULERNEN LOHNT
    In The Art of Creative Writing (1965) stellt Lajos Egri die rhetorische Frage: »Wonach sollte ein Autor streben?« Seine Antwort: »Charakterisierung. Vor Leben sprühende Figuren, das ist immer noch das Geheimnis und die Zauberformel für große, unvergängliche Literatur.«
    Vor Leben sprühende Menschen sind natürlich Menschen, die es kennenzulernen lohnt. In The Art of Fiction (1939) schreibt Hamilton Clayton: »Ein Romanschriftsteller ist sozusagen der gesellschaftliche Bürge für seine fiktiven Figuren, und er begeht quasi eine soziale Takt- losigkeit, wenn er seinen Lesern fiktive Figuren zumutet,

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