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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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hineinversetzen, weil die Situation durch gefühlsbetonte, sinnliche Details heraufbeschworen wird.
    Hier ist ein Beispiel aus Der weiße Hai:
    Brody saß in dem mit Bolzen auf dem Deck befestigten Drehstuhl und versuchte, wach zu bleiben. Ihm war heiß, und er fühlte sich klebrig. In den sechs Stunden, die sie herumgesessen und gewartet hatten, war nicht die geringste Brise aufgekommen. Sein Nacken war von der Sonne bereits stark verbrannt, und jedesmal, wenn er den Kopf bewegte, kratzte der Kragen seines Uniformhemdes auf seiner zarten Haut. Sein Körpergeruch stieg ihm in die Nase und verursachte ihm, zusammen mit dem Gestank der Fischeingeweide und des Blutes, die über Bord gegossen wurden, Brechreiz. Er kam sich vor wie geschunden.
    Der Leser wird regelrecht in diesen Stuhl gesetzt, er spürt das Scheuern des Hemdkragens, die Hitze, die Übelkeit. Brody ist zur Untätigkeit verdammt. Er muß auf den Hai warten.
    Kafka stellt K. in einer ähnlichen Situation dar. Er wartet auf seinen Prozeß.
    An einem Wintervormittag - draußen fiel Schnee im trüben Licht - saß K., trotz der frühen Stunde schon äußerst müde, in seinem Büro. Um sich wenigstens vor den unteren Beamten zu

schützen, hatte er dem Diener den Auftrag gegeben, niemanden von ihnen einzulassen, da er mit einer größeren Arbeit beschäftigt sei. Aber statt zu arbeiten, drehte er sich in seinem Sessel, verschob langsam einige Gegenstände auf dem Tisch, ließ dann, aber ohne es zu wissen, den ganzen Arm ausgestreckt auf der Tischplatte liegen und blieb mit gesenktem Kopf unbeweglich sitzen.
    Wiederum sind es die Details: das trübe Licht, das Drehen im Sessel, das Ausstrecken des Arms auf der Tischplatte und so weiter.
    Sympathie, Identifikation und Empathie tragen alle dazu bei, eine emotionale Bindung zwischen Leser und Figuren herzustellen. Jetzt müssen Sie den Leser nur noch mitreißen.
    DER LETZTE SCHRITT: DEN LESER MITREISSEN
    Wenn der Leser mitgerissen wird, zieht er sich in seine Phantasie zurück. Er läßt sich so sehr von der Erzählwelt fesseln, daß die reale Welt um ihn herum versinkt. Das ist letztlich das Ziel des Romanautors - zu erreichen, daß der Leser völlig in den Figuren und ihrer Welt aufgeht.
    In der Hypnose bezeichnet man diesen Zustand als Somnambulismus. Fordert der Hypnotiseur dann beispielsweise die Versuchsperson auf, wie eine Ente zu quaken, wird sie dies bereitwillig tun. Wenn es dem Romanautor gelungen ist, den Leser in den Zustand des Som- nambulismus zu versetzen, weint und lacht der Leser, empfindet den gleichen Schmerz wie die Figuren, denkt ihre Gedanken und nimmt an ihren Entscheidungen teil.
    Leser in diesem Zustand können so sehr in ihre Lektüre vertieft sein, daß man sie aufschrecken, manchmal regelrecht schütteln muß, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. »Hey, Charlie! Leg das Buch weg! Essen ist fertig! Hey! Bist du taub?«
    Wie bringt man nun den Leser über Sympathie, Identifikation und Empathie schließlich soweit, daß er vollkommen mitgerissen wird? Die Antwort lautet: durch inneren Konflikt.
    Der innere Konflikt ist der Sturm, der in den Figuren tobt, wie Zweifel, Bedenken, Schuldgefühle, Reue und Unentschlossenheit. Wenn erst mal Sympathie, Identifikation und Empathie hergestellt sind, wird der Leser bereit sein, die Gewissensbisse und Schuldgefühle der Figuren nachzuempfinden, ihre Zweifel und Bedenken zu teilen und - am allerwichtigsten - bei den Entscheidungen, die sie treffen müssen, Partei zu ergreifen. Diese Entscheidungen sind fast immer moralischer Natur und haben schwerwiegende Folgen für die Figuren. Ehre und Selbstwertgefühl der Figuren stehen auf dem Spiel.
    Diese Beteiligung am Entscheidungsfindungsprozeß, wenn der Leser die Schuldgefühle, Zweifel, Bedenken und Gewissensbisse der Figur nachempfindet und dringlich wünscht, daß sie sich so und nicht anders entscheidet, das ist es, was den Leser mitreißt. Hier ist ein Bei- spiel aus Carrie, In dieser Szene wartet Carrie auf ihren Partner für den Ball und weiß nicht, ob er kommen wird.
    Carrie öffnete wieder die Augen. Die Schwarzwälder Kuckucksuhr, gekauft vom Lotteriegewinn, zeigte zehn nach sieben. (er wird in zwanzig Minuten hier sein)
    Wirklich.
    Vielleicht war alles nur ein raffinierter, übler Scherz, der letzte große Schlag, die größte Pointe. Sie hier die halbe Nacht in ihrem verknautschten, samtenen Ballkleid mit der Prinzeßtaille, den weiten Ärmeln und dem schlichten geraden Rock sitzen zu lassen -

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