Wie man sich beliebt macht
will etwas heißen, wenn man bedenkt, dass Becca den größten Teil ihres Lebens auf einer abgeschiedenen Farm verbracht und keinen Kontakt zu gleichaltrigen Kindern gehabt hat, außer in der Schule. Dort hat aber keiner mit ihr geredet, weil sie immer Latzhosen und Gummistiefel trug und im Unterricht öfter einschlief. Die anderen versuchten immer, sie zu wecken, aber ich beschützte sie. »Lasst sie in Ruhe! Ihr seht doch, dass sie ihren Schlaf braucht!«
Ich habe lange geglaubt, Becca würde zu Hause zu Kinderarbeit gezwungen, bis ich herausfand, dass sie bloß deswegen so müde war, weil sie jeden Morgen schon um vier Uhr aufstehen musste, um den Schulbus zu erwischen.
Ich musste mein ganzes diplomatisches Geschick einsetzen, um sie davon zu überzeugen, auch mal was anderes als Latzhosen und Gummistiefel anzuziehen. Das Problem mit ihrem Schlafdefizit löste sich erst letztes
Jahr, als ihre Eltern die Farm wegen des geplanten Baus der I-69 an die Regierung verkauften und von dem Geld das alte Haus der Snyders am anderen Ende unserer Straße kauften.
Jetzt kann Becca jeden Morgen bis sieben schlafen und ist im Unterricht hellwach. Sogar in Gesundheitslehre, wo man ja nicht unbedingt wach bleiben muss.
Typisch, dass ausgerechnet diese beiden Menschen meine besten Freunde sind. Ich will jetzt nicht undankbar wirken, natürlich bin ich froh darüber, sie zu haben (obwohl … bei Jason bin ich mir da in letzter Zeit nicht mehr so sicher). Wir drei haben echt unheimlich viel Spaß miteinander. Oft liegen wir abends auf dem Hügel und schauen in den Himmel, der sich erst rosa, dann violett und schließlich tiefblau färbt, und dann kommen einer nach dem anderen die Sterne heraus, während wir darüber reden, was wir machen würden, wenn ein riesiger Meteor - wie einer von denen aus dem Leonidenregen - mit einer Geschwindigkeit von einer Million Stundenkilometer auf uns zugerast käme. (Becca: Gott darum bitten, mir alle meine Sünden zu vergeben. Jason: Meinem Arsch einen Abschiedskuss geben. Ich: Mich so schnell wie möglich zur Seite rollen.)
Aber trotzdem. Ich meine, Becca und Jason sind nicht gerade das, was man landläufig als normal bezeichnet.
Das merkt man schon allein an der Musik, die heute bei Jason im Auto lief. Weil sein Wagen Baujahr 1974 ist, hat er extra mehrere Mix-CDs mit den seiner Meinung nach besten Stücken aus den Siebzigern gebrannt. Heute war sein Lieblingsjahr dran: 1977, mit »God Save the Queen« von den Sex Pistols und dem Soundtrack von »Krieg der
Sterne: Eine neue Hoffnung«, einschließlich der Szene in der Mos-Eisley-Bar.
Es gibt nichts Absurderes, als zu den Klängen einer außerirdischen Weltraumband die Main Street auf- und abzufahren. Echt wahr.
Als wir an der Kreuzung vor dem Laden für Künstlerbedarf anhielten, sah ich an der Ecke Main Street und Elm Street Mark Finley in seinem violett-weißen Jeep sitzen und hupen.
Und wie immer, wenn ich Mark Finley sehe, schlug mein Herz einen Salto.
Lauren, die vor uns in ihrem Cabrio saß, hupte aufgeregt zurück und winkte.
Ich konnte nicht erkennen, was Mark als Nächstes tat, weil ich dadurch abgelenkt war, dass Jason ihm den Stinkefinger zeigte … allerdings wohlweislich hinter dem Armaturenbrett, damit Mark nichts davon mitbekam. Es ist nämlich nicht ratsam, dem Quarterback des Schulfootballteams öffentlich den Stinkefinger zu zeigen, jedenfalls nicht, wenn man den ersten Tag des elften Schuljahrs körperlich unversehrt erleben will.
»Schon gesehen, Steph?«, rief Jason nach hinten. »Da ist dein Liebling.«
Worauf Becca aus vollen Halse loslachte. Allerdings versuchte sie, es zu unterdrücken, um meine Gefühle nicht zu verletzen, weshalb eher so eine Art Grunzen herauskam.
»Hat er dich eigentlich schon mit deiner neuen Crazytop-Frisur gesehen?«, erkundigte sich Jason. »Ich wette, wenn er dich so sieht, vergisst er die kleine Moffat sofort und hat nur noch Augen für deinen Mopp.«
Darauf sagte ich nichts. Tatsache ist nämlich - auch wenn Jason nicht weiß, wovon er redet - dass haargenau das passieren wird, wenn Mark Finley mich zum ersten Mal mit meiner neuen Frisur sieht: Er wird endlich begreifen, dass er und ich füreinander bestimmt sind. Er muss es begreifen.
Abgesehen davon stellte ich aber bald fest, dass es stinklangweilig ist, die Main Street auf- und abzufahren. Und das fand nicht nur ich. Nach der dritten Runde meinte Jason: »Also, ich hab die Schnauze voll. Wie wär’s mit einem Kaffee?«
Ich
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