Wie viel kann eine Frau ertragen
waren sehr knackig. Es war bis fünfunddreißig Grad minus. Nachts schneite es noch ganz viel und die Natur war voll in ihrem Element. Die Welt war weiß, sie war rein. Und keiner konnte diese Natur beschmutzen.
Eines Abends, Anfang Dezember 1968, genauer gesagt vom dritten auf den vierten Dezember, mussten meine Brüder und ich bei anderen Verwandten übernachten. Wir waren so glücklich, dass wir abends lange wach bleiben durften, ohne Angst zu haben vor unserem Vater. Dass in dieser Nacht meine Mutter mich für immer verlassen würde, konnte ich nicht ahnen.
Morgens kamen wir zurück zu meiner Tante Anni und in der Garage lag meine Mutter. Es war kein Leben mehr in ihr! Ich will meine Mama zurück, warum ist sie von mir gegangen? Sie würde mich nicht mehr in ihre Arme nehmen, mir einen Kuss geben, mir nicht mehr über mein langes Haar streichen, mich ins Bett bringen! Sie ist gegangen, warum nur, warum?? Ich war doch noch ein kleines Mädchen. Ich brauchte meine Mama, ich würde ihre Liebe, ihre Hände nie wieder spüren dürfen. Oh Gott, warum hast du es zugelassen??? Was habe ich dir getan, dass du mich so jung bestrafst?
Diese Fragen blieben ohne Antwort!
Die Beerdigung meiner Mutter hat die Familie meiner Tante Anni vorbereitet. Den Sarg haben mein Vater und mein Onkel Rudolf selbst gezimmert und auch gefüllt mit Spänen. Danach wurde ein weißes Laken daraufgelegt und ans Holz getackert. Und dann wurde der Leichnam meiner Mutti reingelegt. Sie wurde schön gemacht für ihre letzte Reise.
Bei Minustemperaturen und Schnee hatten wir am offenen Sarg Fotos von meiner leblosen Mama und uns gemacht. Es waren letzte Bilder von ihr und mit ihr.
Der offene Sarg kam dann auf einen kleinen Laster darauf, alte Menschen und wir, kleinere Kinder, durften neben dem Sarg sitzen. Unsere Nachbarin sagte zu mir: „Kleine, schau dir jetzt deine Mutti an, du wirst sie nie wiedersehen!“
Wie recht hatte diese Frau!!!
Und so fuhren wir auf den Friedhof.
Auf dem Friedhof angekommen, sollte der Sarg meiner Mutter in die für sie in der tiefgefrorenen Erde ausgeschachtete Grube hinuntergelassen werden. Wir standen alle um diese Grube herum. Als der Moment kam, wo der Sarg runtergelassen werden sollte, hatte meine Schwester Sara einen Zusammenbruch. Sie hat sehr geweint und wollte zu unserer Mutter in diese Grube springen. Wahrscheinlich wusste meine Schwester schon, was sie und uns erwarten würde.
Auch das werde ich nie vergessen.
Als unsere Mama im Dezember 1968 starb, war Sara gerade mal im November siebzehn Jahre alt geworden, Elvira wurde im Juli vierzehn Jahre alt, Rudi würde im Dezember zwölf Jahre jung, Jakob hatte im April seinen zehnten Geburtstag, mein jüngster Bruder wurde eine Woche vor Mamas Tod sechs Jahre jung und ich hatte im Mai meinen achten Geburtstag. Unser Vater war vierzig Jahre alt.
Das Leben nach dem Tod unserer Mutter
Nach dem Tod unserer Mutter ging unser Leben weiter. Wir sind weiter zur Schule gegangen, als ob nichts gewesen ist, aber es ist eine ganze Menge passiert. Wir mussten damit klarkommen, dass der Platz unserer Mama leer war. Unsere kleinste Schwester Tina war bei meiner Tante und unsere Tante wohnte bei uns in der Nachbarschaft. Die Kleine bekam im Januar 1969 eine Lungenentzündung und daran starb sie auch. Beerdigt wurde sie bei unserer Mama. Das Grab wurde etwas ausgeschachtet und der kleine Sarg kam da rein. Damals habe ich mir so sehr gewünscht, das Grab tiefer auszuschachten, damit ich meine Mama sehen konnte. Aber es war nicht möglich und nach meinen Wünschen hat auch keiner gefragt.
Unser Vater hatte sehr schnell eine andere Frau fürs Bett, aber wir nicht unsere Mutter. Obwohl er uns diese Frau als „unsere Mutter“ vorgestellt hatte. Diese Frau hatte selbst drei Kinder, der älteste Sohn war gerade zu der Zeit beim Militär. Den anderen Sohn und die Tochter brachte sie mit und wir sechs waren ja auch noch da. Vom Beruf her war sie Briefträgerin und den hat sie auch ausgeübt. Dazu kam noch, dass sie regelmäßig Alkohol getrunken hat. Einmal hatte sie so viel Alkohol gesoffen, dass sie die Post nicht verteilen konnte. Die Briefe und alle Zeitungen lagen auf dem Hof und es hat in Strömen geregnet. Die ganzen Nachbarn zeigten auf uns mit dem Finger. Es war so beschämend. Den Haushalt zu schmeißen, das Vieh zu versorgen und auch ab und zu mal die Zeitungen und Briefe zu verteilen, war die Aufgabe von uns Kindern
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