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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
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Beinahe-Kernschmelze in Harrisburg, und es gab Tschernobyl. Trotzdem tut die schwarz-gelbe Koalition so, als wäre Fukushima etwas ganz Neues. Zweite Bemerkung: Die Anwendung einer Technik, die einen GAU mit schrecklichen Auswirkungen verursachen kann, ist nur zu verantworten, wenn die Verantwortlichen sagen: »Es wird auf diesem Gebiet nie ein menschliches Versagen und nie einen technischen Fehler oder einen Materialfehler und folglich auch keinen GAU geben.« Damit beanspruchen Menschen aber auf diesem Gebiet Allwissenheit und Allmacht. Und das ist in meinen Augen gotteslästerlich. Meine Zweifel, was die Kernenergie betrifft, waren schon vor Tschernobyl gewachsen. Erhard Eppler hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Hätten wir auf ihn gehört, hätte es vielleicht die Grünen nicht gegeben. Und als sich dann der GAU in Tschernobyl ereignete, habe ich am 14. Mai 1986 in einer Bundestagsrede ganz konkret den Ausstieg gefordert. Den hat meine Partei dann im August 1986 auf einem Parteitag in Nürnberg beschlossen. Schon damals hat sie dargetan, wie das vor sich gehen soll, ohne die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes zu gefährden.

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    Bundeskanzlerin Merkel hat ihren Richtungswechsel in der Atompolitik mit den Bildern aus Fukushima begründet. Ist es nicht lobenswert, die eigene Meinung zu ändern?
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    Diese Bilder waren in der Tat eindrucksvoll und haben die Menschen sehr bewegt. Aber wie gesagt: Was war denn an dem dortigen Atom-GAU wirklich neu? Und warum wurde erst jetzt eine Ethikkommission eingesetzt und nicht schon vor der Laufzeitverlängerung?
    Einen interessanten Hinweis auf die Überlegungen, die angestellt wurden, verdanken wir übrigens Herrn Brüderle, damals noch Bundeswirtschaftsminister. Nach einem schriftlichen Protokoll des BDI soll er auf einer Zusammenkunft dieses Verbands der Deutschen Industrie gesagt haben, die sieben älteren Atommeiler habe man wegen der bevorstehenden Landtagswahlen abgeschaltet. Ausschließen kann man das nicht.
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    Genau das wurde bis zu diesem Zeitpunkt vehement bestritten, obwohl es offensichtlich war. Für wie dumm halten die Politiker die Bürger mittlerweile?
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    Ihre Frage generalisiert mir zu stark. In Bezug auf Herrn Brüderle hätte ich damals zunächst gesagt, er sei der erste Anwärter auf einen Wahrheitspreis, sollte je ein solcher verliehen werden. Aber diese Chance hat er durch merkwürdige Dementis wieder zunichtegemacht.
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    Aber die Konsequenz aus der Tatsache, dass ein Repräsentant des Volkes die Wahrheit sagte, ja beim Wahrheit-Sagen ertappt wurde, ist die, dass er als Wirtschaftsminister nicht mehr im Dienst ist.
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    Das mag eine Rolle gespielt haben. Aber der Fraktionsvorsitz, in den er wechselte, ist ja durchaus auch einflussreich. Hauptgrund für diesen Wechsel war wohl der Wunsch des neuen FDP-Vorsitzenden Rösler, der besseren Außenwirkung wegen das Bundesgesundheitsministerium mit dem Bundeswirtschaftsministerium zu vertauschen.
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    Welchen Schaden hat Rainer Brüderle dem politischen System durch sein Handeln zugefügt?

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    Er hat denen Auftrieb gegeben, die ohnehin politikskeptisch sind und deshalb Erklärungen, wie sie Brüderle zugerechnet werden, eigentlich schon für mehr oder weniger selbstverständlich halten. Und die deshalb sagen: »Ach, die Politik richtet sich sowieso nicht nach zuverlässigen Kriterien. Die entscheidet nicht anhand abgewogener Argumente, sondern sie blickt nur auf Umfrageergebnisse und die nächsten Wahlen.« Das, so meinen sie, sei in der Politik ähnlich wie bei Zeitungsverlagen, die nach ihren Auflagen schauen, und bei Fernsehanstalten, die stets die Einschaltquoten im Visier haben.
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    Warum unterlaufen drei Parteien, die schon in unterschiedlichsten Konstellationen lange an der Macht waren und überhaupt nicht als unerfahren gelten dürfen, so viele Fehler in so kurzer Zeit? Sind wir in eine Phase getreten, in der sich die Schlagzahl der Geschehnisse für bedachtes und überlegtes politisches Handeln zu sehr erhöht hat? Man braucht sich nur die Weltereignisse anzuschauen – die Erdbeben und die schon erwähnten havarierten Atomkraftwerke in Japan, die Revolutionen im arabischen Raum, die neu die Frage nach Krieg und Frieden stellen, die Finanzkrise, die mittlerweile ganze Staaten bedroht –, all das geschieht in einer hohen Geschwindigkeit, mit einer ungeheuren Vehemenz.

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