Wien
Bild: Stadtansicht mit Burgtheater
Ist von Wien die Rede, kommen einem unweigerlich Klischees in den Sinn: Schloss Schönbrunn, Riesenrad und Stephansdom, Sachertorte mit Schlagobers, Lipizzaner, Sängerknaben und Walzerkönig StrauÃ. Doch das Bild von der postimperialen Ansichtskartenidylle ist dringend ergänzungsbedürftig.
Heurige und Hip-Hop, Sisi und Schönberg
Gewiss, die festlich illuminierte RingstraÃe samt Hofburg ist von kaum zu überbietender Pracht. Auch haben sich in zahlreichen Heurigen, Beisln und Kaffeehäusern hartnäckig Restbestände kaiserlich-königlicher Gemütlichkeit aus der Habsburger-Epoche erhalten. Und welcher Musikliebhaber gerät nicht ins Schwärmen beim Besuch weltberühmter Musentempel wie Musikverein oder Staatsoper? Dennoch sind die vertrauten Bilder vom schokoladensüÃen, musik- und manchmal auch weinseligen Idyll zu korrigieren. Denn die 1,67 Mio. Einwohner zählende Stadt an der Donau hat sich in den letzten Jahren zur Boomtown Zentraleuropas gemausert: dynamisch und selbstbewusst, strotzend vor Energie und Lebenslust â der Wirtschaftsmotor und kreative Nabel einer Nation, die nicht zufällig zu den (erfolg)reichsten und lebenswertesten Ländern Europas, ja der Welt zählt. Heurige und Hip-Hop, Sisi und Schönberg, Kaiserschmarrn und Fusionküche â wer Wien besucht, unternimmt gleich zwei Reisen. Die eine führt in die glanzvolle Vergangenheit, deren imperiale Pracht entlang der RingstraÃe, in Schloss Schönbrunn und rund um den Stephansdom garantiert jeden betört. Die andere katapultiert Sie in eine multikulturelle Weltstadt, mitten ins Herz des erweiterten Mitteleuropas. Die wundersame Verjüngung der nach 1945 lange Zeit grauen, mürrischen, ja morbiden Stadt setzte Mitte der 1970er-Jahre ein. Ein beträchtlicher Teil der überwiegend desolaten Bausubstanz aus früheren Jahrhunderten wurde instand gesetzt, und sogar die zeitgenössische Architektur konnte sich in einigen Renommierprojekten manifestieren, am spektakulärsten wohl im Haas-Haus am Stephansplatz. 1979 wurde die Uno-City eröffnet â seither ist Wien nach New York und Genf der dritte Uno-Sitz. In jenen Jahren des Aufbruchs etablierte sich auch eine groÃzügig subventionierte Alternativkultur mit zahllosen Klein- und Mittelbühnen, parallel dazu entstand eine quicklebendige Bar- und Beislszene.
Einen entscheidenden Impuls zur Belebung erhielt Wien 1989 durch das Verschwinden des Eisernen Vorhangs. Mit einem Mal lag die einstige Kaiserstadt nicht mehr am äuÃersten Rand der westlichen Welt, sondern fungierte, wie schon zu Zeiten der Monarchie, als kulturelle, politische und wirtschaftliche Drehscheibe zwischen Ost und West. Einen weiteren Modernisierungsschub bekam die Stadt, die schon seit Urzeiten sozialdemokratisch regiert wird â seit den Gemeinderatswahlen im Herbst 2010 allerdings in Koalition mit den Grün-Alternativen als Juniorpartner â, 1995 durch Ãsterreichs EU-Beitritt. Als 2004 u. a. auch die Nachbarländer Ungarn, Slowakei und Tschechien zur EU kamen, profitierte Wien stark durch intensivierte Bande zu ihnen. 2010 schlieÃlich wurde Wien im Rahmen der renommierten Mercer-Studien zur Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität gekürt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Da ist zum Beispiel das besondere Lebensgefühl, dessen sich die Wiener gerne rühmen. Ihre Gemütlichkeit und ihr sprichwörtlicher Schmäh, also die Fähigkeit, selbst traurigen Situationen mit Humor und Sprachwitz zu begegnen, mögen Klischees sein; doch mischen Sie sich bloà einmal beim Heurigen unter die weinseligen, vor sich hin räsonierenden Einheimischen oder beobachten Sie in einem der ehrwürdigen Cafés die Stammgäste, wie sie bei einer Schale Melange plauschend oder Zeitung lesend alle Hast abstreifen, und Sie werden erkennen, wie gültig diese Vorstellungen immer noch sind.
Wiens schönster Brunnen: der 1737â39 erbaute Donnerbrunnen am Neuen Markt
Ein besonderes Lebensgefühl: der Wiener Schmäh
Allerdings ist Wien keineswegs in allen Belangen eine idyllische Insel im turbulenten Strom der Zeit. In der Bundeshauptstadt spiegelt sich naturgemäà wie in einem Brennglas die gesamtösterreichische Situation wider. Die (gesellschafts-)politische GroÃwetterlage ist getrübt durch allerlei dunkle Wolken, die teilweise seit Jahren
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