Wien
Pfadfinder und Grillfans brutzeln sich an Wochenenden an eigens angelegten Uferplätzen ihr Mittagsmahl. Und nebenan hoffen Angler auf reichen Fang.
Im Hochsommer wird diese künstliche Naturlandschaft zu einem zentraleuropäischen Rimini. Sonnenanbeter nehmen dann die Liegewiesen und Strände aus Sand und Schotter in Beschlag, fahren Tretboot und Wasserski, spielen Streetsoccer, Basket- und Beachvolleyball. Und nach Sonnenuntergang macht ein vorwiegend junges Publikum in den zahlreichen Restaurants, Bars und Diskos der Vergnügungsmeile Copa Cagrana , deren Name zum Teil vom nahe gelegenen Stadtteil Kagran stammt, die Nacht zum Tag.
HABSBURGER
Mehr als 90 Jahre ist sie nun schon in der politischen Versenkung verschwunden. Doch der Mythos dieser Dynastie, die über sechs Jahrhunderte lang von Wien aus ein Imperium beherrschte, ist (fast) so lebendig, als walte der alte Kaiser noch leibhaftig seines Amtes. Um das zu erkennen, genügt ein Blick in die Regale jedes x-beliebigen Buchladens, stapeln sich dort doch die Biografien von Maria Theresia, Kronprinz Rudolf und Sisi im Dutzend. Nicht zufällig liegen in der Kaisergruft vor etlichen Sarkophagen stets frische Blumen. Nicht zufällig wurde für Kaiserin Elisabeth ein eigenes Museum eröffnet. Nicht ohne Grund prangt in den noblen EinkaufsstraÃen auf einigen Firmenschildern noch das Prädikat âk. u. k. Hoflieferantâ, glänzen in den Souvenirshops die habsburgischen Stammfarben Schwarz und Gelb auf Konfekt und T-Shirts; und lassen sich bis heute Fiakerkutscher, um Kaiser Franz Joseph möglichst ähnlich zu sehen, lange Backenbärte wachsen.
Was dahinter steckt? Mit Sicherheit viel kommerzielles Kalkül. Für eine kleine Minderheit vielleicht echte politische Sehnsucht. Für das Gros der Wiener hingegen wohl nur das, was sie aus Gewohnheit allem Vergangenen entgegenbringen: posthume Verherrlichung. Wie meinte der Satiriker Helmut Qualtinger klarsichtig: âIn Wien musst sterben, bevorst berühmt wirst. Wennst aber einmal tot bist, lebst fast ewig.â
Kaffee mit Königspaar: Sisi und Franz Joseph als Wandschmuck im Café Central
KABARETT
Die Wurzeln liegen, wie bei so vielen Facetten der quirligen Kunstszene, in den 1980er-Jahren. Helmut Qualtinger, Ahnherr des Wiener Nachkriegskabaretts und Schöpfer der unsterblichen Figur des prototypischen Alltagsfaschisten âHerr Karlâ, lebte noch, als die zeitkritische Kleinkunst einen ersten Boom hatte. Das mehrheitlich junge Publikum genoss es, während der Vorstellung essen, trinken, rauchen und herzhaft lachen zu dürfen â und sich dabei gleichzeitig als kritischer Bürger zu fühlen.
Mittlerweile hat sich die örtliche Kleinkunst, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen, zu einer Massenbewegung entwickelt. Mehr als ein Dutzend Häuser, von der kleinen Niedermair -Bühne bis zum Riesenzelt namens Palais Novak oder dem 2011 eröffneten Stadtsaal , haben sich auf Kabarett spezialisiert. An Spitzenabenden werden an die 2500 Tickets im Kabarett verkauft.
Wobei die Grenzen zum Theater verschwimmen: Stars wie Josef Hader oder Thomas Maurer etwa haben sich als Darstellerautoren mit Solostücken, in denen sie anstatt sich selbst eine Rolle spielen, einen Namen gemacht. Andere Vertreter der Zunft jedoch, Karl Ferdinand Kratzl zum Beispiel, Alf Poier, Martin Puntigam oder das im Bereich Stand-up-Comedy erfolgreiche Duo Stermann & Grissemann, vertrauen auf deutlich ätzendere Komik und schrägere Dramaturgie.
Die Sorge übrigens, als Gast aus Regionen, die nördlich des âWeiÃwurstäquatorsâ liegen, dialektbedingt an der Sprachbarriere zu scheitern, ist meistens unbegründet. Das Gros der Kabarettisten spricht ein durchaus überregional verständliches Deutsch.
Multikulti
Die Widersprüchlichkeit des Wiener Herzens zeigt sich eindrücklich in seinem Verhältnis gegenüber âden Ausländernâ, deren Anteil an der Bevölkerung etwa 18 Prozent beträgt: Einerseits fallen die fremdenfeindlichen Phrasen von Heinz-Christian Strache, dem Nachfolger des 2008 tödlich verunglückten Berufsprovokateurs Jörg Haider als Chef der Rechtspartei FPÃ, und seinesgleichen gerade in der Bundeshauptstadt nach wie vor auf erschreckend fruchtbaren Boden. Was ein waschechter Wiener ist, der verdrängt nur zu gern, dass sein Stammbaum in der Regel einen ungarischen Onkel und eine böhmische
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