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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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zu »Cats«. In die große Kandinsky-Ausstellung nach Wien. Sie hatte eine Kreuzfahrt ans Nordkap gebucht. Einen Tauchurlaub auf den Malediven. Und am Ende hatte sie eingesehen, dass nichts die Schatten der Erinnerung übertünchen konnte. Sie konnte nichts tun, als abzuwarten, bis es vorüber war. Jedes Jahr wieder.
    Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken.
    Â»Claire Menec.« Es war der Anruf, auf den sie seit Tagen gewartet hatte.
    Â»Heute Abend«, sagte die Stimme eines Mannes. Sie klang jung. Merkwürdig verschwommen. »Heute Abend ist der geeignete Zeitpunkt.« Einen Moment lang schloss Claire die Augen. Ihr Atem ging schneller. War das wirklich der richtige Zeitpunkt? Ausgerechnet der vierte September? Aber wieso nicht? Einmal musste es geschehen. Warum also nicht heute?
    Â»Gut«, sagte sie. »Rufen Sie mich an, wenn es vorbei ist.«
    Â»Und das Geld?« Der Anrufer hatte Mühe, die Worte klar herauszubekommen. Sie zögerte. War er überhaupt in der Lage, den Auftrag auszuführen? Aber sie hatte keine Wahl. Immerhin war ihr der Mann empfohlen worden.
    Â»Sobald ich weiß, dass Sie den Auftrag erfolgreich ausgeführt haben, bekommen Sie den Rest.«
    Einen Moment lang herrschte Stille. Claire fürchtete schon, dass der Mann aufgelegt hatte.
    Â»Okay. Sie können es schon mal bereitlegen, Lady. Ich melde mich.«
    Er legte auf, ohne eine weiteres Wort zu verlieren.
    Als Claire das Telefon auf den gläsernen Esstisch legte, der in dem großen, mit schönen alten Möbeln bestückten Raum einen modernen Mittelpunkt bildete, wunderte sie sich, dass ihre Hand nicht zitterte. Für einen Moment berührte sie die kühle Oberfläche der Tischplatte. Wie lange hatte sie Leon damals bitten müssen, den riesigen Eichentisch, der mit seiner dunklen Schwere den ganzen Raum dominiert hatte, zu entfernen und durch das moderne, leichte Designerstück aus Glas zu ersetzen. Aber letzten Endes war es gewesen wie immer: Leon hatte sich ihrem Wunsch gebeugt.
    Die vergoldete Kaminuhr schlug sechs. Für halb acht hatte Claire einen Tisch im »Cafè du Port« bestellt. Sie hoffte, dass Michel Dumonts berühmte Fischsuppe Leon auf andere Gedanken bringen würde. Dazu ein, zwei Gläser Rotwein aus Michels hervorragend bestücktem Weinkeller. Und die Nacht würde sich ertragen lassen. Leon würde vielleicht ein Glas zu viel trinken, wie jedes Jahr an diesem Tag, sie selbst würde wie immer nur Wasser trinken.
    Â»Einer muss ja einen klaren Kopf behalten«, lachte sie immer, wenn sie hastig die Hand auf ihr Glas legte und verhinderte, dass Michel nachschenkte. Dass sie in Wahrheit nichts mehr fürchtete, als die Kontrolle über sich oder die anderen zu verlieren, das wusste nur sie.
3
    In dem kleinen Park hinter der Pariser Oper gab Hubert Polin der älteren Dame das Telefon zurück, der er vorgejammert hatte, dass es einen Notfall gebe und er ganz dringend telefonieren müsse. Es hatte all seine Überzeugungskraft gebraucht, die Frau dazu zu überreden, ihm ihr Mobiltelefon zu leihen. Aber es war Hubert gelungen, den Rest jenes jungenhaften Charmes zusammenzukratzen, der ihm vor Jahren ein paar Jobs als Model in Paris beschert hatte. Lange war das her. Gefühlte hundert Jahre. Dieses andere Leben in Glanz und Glamour. Heute war Hubert ein heruntergekommener Zwanzigjähriger, drogenabhängig, krank, verloren. Sein Haar hing ihm verfilzt in die Stirn, sein Blick war stumpf, seine Haut grau. Er zitterte am ganzen Leib.
    Â»Geht es Ihnen nicht gut?« Es war der älteren Dame anzusehen, dass ihr vor dem jungen Mann ein wenig grauste.
    Â»Sie sollten einen Arzt aufsuchen, junger Mann.«
    Â»Was ich brauch, krieg ich nicht vom Arzt.«
    Â»Haben Sie denn niemanden, der sich um sie kümmert? Wenn Sie wollen, nehmen Sie doch das Telefon noch einmal und rufen Sie jemanden an. Ihre Mutter vielleicht. Oder Ihre Freundin. Sie haben doch eine Freundin?«
    Hubert war genervt.
    Â»Sorry, Lady, kann nicht mehr mit Ihnen plaudern. Muss los. Hab einen Termin. Ein Job, wissen Sie?«
    Er spreizte die Finger zum Victory-Zeichen und schlenderte durch den kleinen Park, in dem die Blätter schon anfingen, sich bunt zu verfärben, davon.
    Er gab sich große Mühe, gerade zu gehen. Könnte ja sein, dass die Alte aus lauter Sorge einen Krankenwagen rief, wenn sie sah, wie schwach er auf den Beinen war. Oder gleich die

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