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Wildhexe - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe - Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Dann stürzte sich Chimära vom Dach und schoss im Sturzflug auf mich zu. Ich drehte mich um, versuchte zu fliehen, aber ich schaffte es nicht einmal, zwei Schritte aufs Haus zuzumachen, bevor sie mich eingeholt hatte.

11  BLUT UND ROTE REGENBOGEN
     
     
    Ich habe noch nie versucht mir vorzustellen, wie sich ein Kaninchenjunges in den Fängen eines Raubvogels fühlt, aber ich glaube, jetzt weiß ich es. Chimäras Gewicht traf mich wie eine Keule, und ich schlug der Länge nach auf den Boden. Ich bekam keine Luft mehr. Ihre Flügel verschluckten alles Licht um mich herum und machten mich blind, ihre Finger bohrten sich wie Messer in meinen Körper. Tumpes rasendes Knurren verwandelte sich in schmerzerfülltes Jaulen, dann war er still.
    Ich erinnere mich nicht, ob ich irgendetwas dachte. Ich kann nicht sagen, ob in meinem Kopf etwas anderes Platz hatte als blankes Entsetzen und der Geschmack von Blut.
    Ich konnte keinen Widerstand leisten. Ich konnte weder meine Arme noch meine Beine heben, konnte mich in ihrem Griff nicht einmal winden. Sie zerrte meine Arme nach hinten und fesselte sie mit etwas Hartem, das in meine Handgelenke einschnitt. Dann zog sie meinen Kopf zurück und legte etwas ebenso Kaltes und Scharfes um meinen Hals. Es brannte auf meiner Haut und machte mir das Atmen noch schwerer.
    »Kaltes Eisen«, zischte sie direkt neben meinem Ohr. »Du brauchst es also gar nicht erst zu versuchen.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Was sollte ich nicht versuchen? Und warum ausgerechnet Eisen? Es fühlte sich eher an wie Stacheldraht.
    »Steh auf.«
    Ich war nicht sicher, ob ich das konnte. Ich schnappte immer noch nach Luft, konnte nur jämmerlich kleine Atemzüge machen, und mein Bein fühlte sich unangenehm taub an.
    Das störte Chimära nicht. Ich verspürte einen Ruck an meinem Hals, bei dem mir schwarz vor Augen wurde. Wenn ich weiter atmen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als aufzustehen. Beim zweiten Versuch gelang es mir, aber mein Knie stach und brannte, sobald ich das Gewicht auf mein taubes Bein verlagerte.
    Das erste, was ich sah, war Tumpe.
    Er lag ganz still, ein Berg aus Fell und Knochen, der viel zu klein wirkte, um der große, bärige Tumpe zu sein.
    »Tumpe!« Ich versuchte, zu ihm zu kommen, aber ein weiterer Ruck stoppte mich. An dem Halseisen war eine dünne Kette befestigt, deren Ende Chimära in den Händen hielt, als wäre es eine Hundeleine und ich ein Hund. »Was hast du mit ihm gemacht?«
    Sie antwortete gar nicht erst. Riss nur noch einmal an der Kette, sodass ich stolperte und beinahe hingefallen wäre.
    »Abmarsch, Hexenkind«, sagte sie. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Ich musste hinter ihr her humpeln, ob ich nun wollte oder nicht. Über den Hof, den Kiesweg hinunter, durch das Gatter mit den weißen Steinen. Ohne zu wissen, was sie mit Tumpe gemacht hatte. Ohne zu wissen, ob er noch lebte oder tot war.
     
    Im selben Moment, in dem wir die weißen Steine passiert hatten, schloss sich ein merkwürdiger Nebel um uns. Er war überhaupt nicht feucht und klamm wie normaler Nebel, sondern eher trocken wie Rauch – und genauso dicht.
    Hexennebel. Der Nebel der Wilden Wege. Daran gab es keinen Zweifel.
    Chimära hatte es eilig. Jede ihrer Bewegungen war hektisch, und sie zerrte an mir, sobald sie der Meinung war, es ginge nicht schnell genug, was im Großen und Ganzen durchgehend der Fall war.
    Trotzdem fing mein Verstand langsam wieder an zu arbeiten. Ich wusste zwar nicht, wohin wir gingen, aber man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass die Chancen, dass Tante Isa uns finden würde, umso geringer wurden, je weiter wir uns entfernten. Wahrscheinlich hatte Chimära es genau deshalb auch so eilig. Sie hatte Angst vor Tante Isa. Und das machte mich in all meinem Elend ein bisschen mutiger.
    Aber was konnte ich tun? Sie hatte mir die Hände auf den Rücken gefesselt, und ich trug ein eisernes Band um den Hals, ganz abgesehen davon war sie größer, stärker und zehnmal … zehnmal hexiger als ich. Ich ging absichtlich langsamer, auch wenn das noch mehr grobes Reißen an meinem armen Hals bedeutete, aber das machte sowieso kaum einen Unterschied. Wir entfernten uns immer weiter von Tante Isa und das hier war kein Ort, an dem man Zweige abbrechen oder Brotkrumen fallen lassen konnte, um eine Spur zu hinterlassen. Hier gab es nichts außer Nebel.
    Selbstverteidigung für Wildhexen, Lektion 1 . Hatte ich überhaupt etwas gelernt, seit ich bei Tante Isa

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