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Wildhexe - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe - Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gesagt, gab es hier in der Gegend? Mindestens eine davon musste doch hier irgendwo in der Nähe sein. Gab es zu dieser Jahreszeit Kaulquappen? Sicher nicht.
    Ich schielte zu Kahla. Sie zog einen Strich unter alles, stand auf und gab Tante Isa ihren Block.
    »Weiter weg sind natürlich noch viel mehr«, sagte sie. »Aber du hast ja von fünfzig Metern gesprochen.«
    Tante Isa nahm Kahlas Block und fing an zu lesen.
    »Sehr schön, Kahla«, sagte sie und zeigte auf einen der Punkte ihrer Liste. »Der war so tief unten, dass ich nicht sicher war, ob du ihn finden würdest.«
    Ich schrieb »Maulwurf?« auf meinen Block. Dann hörte ich ein leises, boshaftes Kichern.
    Kahla stand hinter mir und schaute mir über die Schulter. Sie konnte genau sehen, wie wenig auf meinem Blatt stand. Und sie hatte mitbekommen, wie ich versucht hatte, den Maulwurf dazuzuschummeln.
    Sie sagte nichts, aber sie lächelte. Und zwar alles andere als nett und freundlich.
    Da wurde ich sauer. Sie machte sich über mich lustig. Sie stand da und lachte mich aus, und es war offensichtlicher denn je, wie peinlich, hoffnungslos und lächerlich sie mich fand. Ich hatte keine Lust mehr, mir das noch länger anzuhören – und noch viel weniger, ihr darin recht zu geben.
    Verzieh dich, dachte ich. Lass mich in Ruhe! Blöde Kuh. Hau ab .
    Die Enten schlugen mit den Flügeln und flogen erschrocken auf. Kahla machte einen überraschten Schritt zurück. Auf dem glitschigen Ufer rutschten ihr die Füße weg. Sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten und sich an einem Zweig festzuklammern.
    Knack! Mit einem morschen Krachen zerbrach der Zweig, und schon war es passiert. Kahla fiel ins Wasser und war für einen kurzen Augenblick zwischen Binsen und Wasserpflanzen verschwunden. Dann tauchte sie wieder auf, spuckend und nach Luft schnappend. Sie stand bis zu den Oberschenkeln im Wasser.
    »Kahla!«, Tante Isa warf den Block weg und zog Kahla mit festem Griff zurück ans Ufer.
    Sie war klitschnass. Die vielen wollenen Schichten trieften und ihre dunklen Haare klebten in flachen schwarzen Strähnen in ihrem Gesicht. Wie ein kleines festliches Boot trieb eine ihrer regenbogenfarbenen Inkamützen auf dem Weiher. Kahla starrte mich mit großen, schockierten Augen an.
    »Du …«, zischte sie. »Das warst du …«
    »Darüber unterhalten wir uns später«, sagte Tante Isa mit ziemlich unheilvollem Unterton in der Stimme. »Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass du trockene Kleider bekommst.«
     
    Kahla konnte einfach nicht aufhören zu zittern. Tante Isa hatte die alte Badewanne schon zum zweiten Mal mit dampfend heißem Wasser gefüllt und mindestens einen halben Liter kochend heißen Tee in Kahla hineingeschüttet, aber es half einfach nichts. Schließlich zogen wir ihr mehr oder weniger alle Sachen an, die ich mitgebracht hatte und gerade selbst nicht trug, plus einen großen, alten Wollpulli, drei Paar Socken und ein Paar Stiefel von Tante Isa.
    Ohne ihren eigenen, bunt gescheckten Kleider-Kokon sah Kahla ganz anders aus. Klein, dünn und ängstlich und überhaupt nicht mehr großspurig. Sie stand dicht an dem großen Holzofen in der Stube, die Lippen blau vor Kälte, und Tränen liefen ihr lautlos die Wangen hinunter.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie. »Darf ich bitte einfach nach Hause?«
    Ich stand nur unbeholfen daneben und fühlte mich richtig schlecht. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass es meine Schuld gewesen war. Dass ich Kahla auf irgendeine Weise geschubst hatte, ohne sie auch nur mit dem Finger zu berühren. Als wäre sie nur meinetwegen in den Weiher gefallen. Und ich erinnerte mich nur zu deutlich an das Gefühl, das mich in dem Augenblick durchströmt hatte, als sie aus dem Wasser aufgetaucht war und ich sicher sein konnte, dass sie weder ertrunken war noch sich ernsthaft verletzt hatte.
    Schadenfreude.
    Wie sehr hatte ich mich an ihrem Unglück geweidet! So sehr, dass ich mir selbst auf die Backe beißen musste, um nicht zu grinsen.
    Aber als ich sie jetzt sah, fand ich es plötzlich gar nicht mehr lustig.
    »Bist du okay?«, fragte ich sie leise, als Tante Isa in der Küche war, um mehr Tee zu holen.
    Sie schaute mich an. Unter den Augen hatte sie blau-lila Ringe, und sie war so blass, dass ihre dunkle Haut beinahe grau aussah.
    »Ich v-vertrage es nicht, wenn ich friere«, sagte sie unglücklich. »Ich werde k-krank davon.«
    Sie machte mir keine Vorwürfe mehr, weil ich daran Schuld hatte, dass sie ins Wasser gefallen war. Erwähnte es

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