Wildhexe - Die Feuerprobe
denke, dein schwarzer Katzenfreund wird gewiss auch dafür sorgen.«
»Ich glaube auch«, sagte ich und musste lächeln. »Und ein paar andere Freunde vielleicht. Aber was ist mit dir? Wirst du … wirst du wieder sehen können?«
»Ja, mit der Zeit«, sagte sie. »Wenn im Frühjahr die Brut schlüpft, werde ich mit einem neuen Vogel von vorne anfangen. Für gewöhnlich dauert es ein oder zwei Jahre, bis man sich so gut kennt, dass man sich gegenseitig seine Sinne leihen kann.«
»Viel Glück«, sagte ich und meinte es.
»Dir auch, Clara Ask.«
Als wir am Gatter mit den weißen Steinen aus dem Nebel der Wilden Wege traten, fiel mein Blick als Allererstes auf einen kleinen blauen Kia, der auf dem Hof neben Tante Isas alter Rostlaube parkte.
»Mama!«
Ich musste Stjerne kaum mit den Fersen antippen, sie war voll und ganz darauf eingestellt, schnellstmöglich nach Hause in ihren vertrauten, sicheren Stall zu kommen, und schließlich galoppierten wir über den Feldweg, dass uns die Grasbüschel nur so um die Ohren flogen.
Die Tür des Wohnhauses ging auf, und Mama und Tumpe kamen uns entgegen. Tumpe benahm sich, wie Tumpe es immer getan hatte – er sprang hoch und tanzte, wedelte, stellte sich selbst immer wieder ein Bein und um ein Haar auch Stjerne. Mama dagegen stand ganz still da, als könne sie ihren eigenen Augen nicht trauen.
»Clara-Maus! Mein kleiner Schatz …«
Ich ließ die Zügel los, rutschte von Stjernes Rücken und überließ es ihr selbst, den Weg in den Stall zu finden. Es gab noch keine neue Stalltür, also liefen auch die Ziegen rein und raus, wie es ihnen gefiel.
»Du hast am Telefon so merkwürdig geklungen«, sagte Mama und zog mich an sich. Sie umarmte mich so fest, wie sie es eigentlich nicht mehr getan hatte, seit ich acht Jahre alt geworden war. »Da musste ich einfach herkommen. Und als ihr dann nicht hier ward …« Sie holte tief Luft und drückte mich noch fester an sich. »Ihr seid so lange weg gewesen. Ich wusste gar nicht, was ich denken sollte …«
»Jetzt sind wir wieder da«, sagte ich. »Und morgen können wir zusammen nach Hause fahren!«
Natürlich war das noch nicht das Ende der Geschichte. Zum Beispiel musste ich doch Oscar erzählen, was alles passiert war, und versuchen, meinem Kater klarzumachen, dass es nicht sehr schlau war, vier messerscharfe Hexenkaterkrallen in die weiche Schnauze von Oscars Labrador zu jagen. Oscar war der Einzige, mit dem ich über die ganze Sache redete, denn wir erzählen uns alles. Die anderen dachten, ich wäre krank gewesen und zur Erholung in irgendein Heim für geschwächte Kinder gefahren.
Außerdem war ich gezwungen, Tante Isa zu überreden, sich ein Handy zu kaufen und ab und zu auf den Hügel zu steigen, um uns anzurufen. Ich wollte schließlich wissen, wie es Tumpe, Stjerne, den Ziegen und allen anderen Tieren ging. Und Kahla.
»Jetzt bist du nicht mehr mit einer Anfängerin in der Gruppe«, hatte ich gesagt, als wir uns voneinander verabschiedeten.
»Nein«, sagte sie. »Jetzt lerne ich bestimmt mehr.« Aber dann umarmte sie mich doch noch schnell mit ihren wollenen Mantelärmeln. »Pass gut auf dich auf. Und … ich würde wirklich gerne mal wieder mit dir in einer Gruppe sein …«
Es war irgendwie komisch, nach Hause in unsere Wohnung zu kommen und wieder mit Oscar zur Schule zu gehen. Ich war fast drei Wochen weg gewesen. Zwanzig Tage zählte ich. Es kam mir eher vor, als wären es zwanzig Monate gewesen. Alles war so anders. Besonders innerlich hatte ich mich so sehr verändert.
»Sag mal«, sagte Mama am ersten Morgen, an dem ich wieder in die Schule sollte. »Bist du etwa gewachsen?«
»Ja«, sagte ich. »Das bin ich bestimmt.«
Das liegt nur daran, dass du jetzt mich hast .
Ich schaute in die goldenen Augen des Katers. Er sah unglaublich selbstzufrieden aus.
»Also, ich kann auch ohne deine Hilfe ganz gut wachsen«, murmelte ich spitz.
Er schnaubte. Das glaube ich kaum .
Ich gab es auf, noch weiter mit ihm zu diskutieren. Wenn man eine Katze hat, braucht man nicht damit zu rechen, jemals wieder das letzte Wort zu haben.
Über die Autoren
LENE KAABERBØL, 1960 in Kopenhagen geboren, ist eine der bekanntesten dänischen Kinderbuchautorinnen. Ihr erstes Buch veröffentlichte sie mit 15 Jahren. Seitdem hat sie über 30 Bücher für Kinder und Jugendliche geschrieben, die in 25 Sprachen übersetzt wurden. Kaaberbol war bereits mehrfach für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert, zuletzt 2014.
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