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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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eine Vormachtstellung. Das preußische Heer stellte die süddeutschen Armeen in den Schatten. Der König von Preußen war gemäß Artikel 63 der Verfassung in seiner Funktion als deutscher Kaiser gleichzeitig der Oberbefehlshaber der Reichstruppen. Und laut Artikel 61 war »in dem ganzen Reiche die gesamte Preußische Militärgesetzgebung ungesäumt einzuführen«. Das führte sämtliche Ansprüche des Bundes ad absurdum, militärische Angelegenheiten über einen »dauernden Ausschuss« zu regeln. Mit Ausnahme der hanseatischen Stadtstaaten Hamburg, Lübeck und Bremen gehörten die kleineren Fürstentümer in Mittel- und Norddeutschland einer preußischen Klientel an, die bei Bedarf jederzeit unter Druck gesetzt werden konnte. Da Preußen selbst schon 17 der 58 Stimmen im Rat hatte, war es folglich so gut wie unmöglich, dass sich eine Koalition anderer Staaten herausbildete, die einen preußischen Antrag ablehnen konnte.
    Auf jeden Fall war es äußerst unwahrscheinlich, dass der Bundesrat jemals die politische Bühne in Deutschland so sehr dominieren würde, wie die Föderalisten es sich erhofft hatten. Bismarck weigerte sich als Kanzler, dem Rat eine öffentliche Rolle einzuräumen, die sich mit der besonderen Zuständigkeit der preußischen Krone und seiner Person als ihrem ersten Diener überschnitt. Zum Beispiel sorgte er dafür, dass der »Ausschuss für die auswärtigen Angelegenheiten« ungeachtet der Bestimmungen in Artikel 8 der Verfassung nur auf dem Papier Bestand hatte. Überdies fehlte dem Bundesrat ein geeigneter Verwaltungsapparat,
um Gesetze auszuarbeiten. Somit war er auf die preußische Bürokratie angewiesen, mit dem Ergebnis, dass der Bundesrat verstärkt die Funktion eines Gremiums zur Prüfung von Gesetzesvorlagen übernahm, welche zuvor das preußische Staatsministerium formuliert und diskutiert hatte. Eine vergleichbare Verwässerung der Autorität lässt sich beobachten, wenn man die Rolle, die der Rat bei den Auflösungen des Reichstags von 1878, 1887, 1893 und 1906 spielte, miteinander vergleicht. Der Rat ergriff bei all diesen Anlässen nicht etwa selbst die Initiative, sondern wurde zu einem immer willfährigeren Instrument der Reichspolitik. 4 Die untergeordnete Rolle spiegelte sich sogar in der politischen Architektur Berlins wieder: Da der Bundesrat kein eigenes Gebäude hatte, wurde er in der Reichskanzlei untergebracht.
    Das Primat Preußens wurde durch die Schwäche der Verwaltungseinrichtungen auf Reichsebene noch untermauert. Eine Art Reichsverwaltung kristallisierte sich zwar in den siebziger Jahren heraus, als neue Departements eingerichtet wurden, um die wachsende Flut an Reichsangelegenheiten zu bewältigen, und ihre Bedeutung für die Vorbereitung von Gesetzesinitiativen nahm während der gesamten wilhelminischen Ära zu, doch sie blieb in die preußische Machtstruktur eingebunden und auf sie angewiesen. Die Leiter der Reichsämter (Auswärtige Angelegenheiten, Innenpolitik, Justiz, Postwesen, Eisenbahn, Schatzamt) waren keine Minister im eigentlichen Sinn, sondern Staatssekretäre von untergeordnetem Rang, die direkt dem Reichskanzler unterstellt waren. Die preußische Bürokratie war größer als die des Reichs, und daran änderte sich auch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nichts; zudem stammten die meisten Beamten in der Reichsverwaltung zugleich aus Preußen.
    Aus Sicht derjenigen, von denen erwartet wurde, dass sie das deutsche System mit Leben erfüllten, brachte dieser preußisch/ kaiserliche Dualismus gravierende Probleme in der politischen Verwaltung mit sich. Trotz der Vorrangstellung des größten Mitgliedstaates war es für die preußische Regierung unmöglich,
die Politik in Preußen selbst ohne den Blick auf die Situation im ganzen Reich zu formulieren. Der offensichtlichste Grund hierfür war der Umstand, dass der preußische Ministerpräsident während des Kaiserreichs zumeist gleichzeitig Reichskanzler war. Somit war er zwei Legislativen gegenüber verantwortlich: dem preußischen Landtag und dem Reichstag. Die beiden Organe waren nicht nur institutionell verschieden, sondern hoben sich auch politisch stark voneinander ab. Der Reichstag wurde auf der Basis eines allgemeinen Männerwahlrechts gewählt und beherbergte eine bunte Palette von Parteien, welche die erhebliche regionale, konfessionelle, ethnische und sozioökonomische Vielfalt des deutschen Volkes repräsentierte. Der preußische Landtag hingegen wurde nach einem Dreiklassenwahlrecht

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