Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
fettgedruckt und eingerahmt, um es noch deutlicher hervorzuheben:
Scotland Yard möchte dringend mit der oben abgebildeten Person in Verbindung treten, deren Foto in der Handtasche von Miss Jessie Haynes gefunden wurde, nachdem man letzten Donnerstagmorgen ihre Leiche erwürgt auf dem Barnes Common entdeckt hatte. Das Foto trägt auf der Rückseite die Inschrift: »J. H. in Liebe von R. D.« Jeder, der den Mann auf dem Foto erkennt, wird gebeten, sich sofort mit Scotland Yard oder einer anderen Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen.
Mr. Duckworthy blickte auf den Artikel und wurde so weiß, daß Wimsey glaubte, er würde in Ohnmacht fallen. »Nun?« fragte Wimsey.
»O mein Gott, Sir! O Gott! Jetzt ist es endlich doch passiert.« Er wimmerte auf und stieß die Zeitung schaudernd von sich. »Ich habe immer gewußt, daß so etwas passieren würde. Aber so wahr ich lebe, ich weiß nichts davon.«
»Aber der Mann auf dem Foto sind Sie doch, nicht?«
»Das auf dem Foto bin ich, ja. Aber wie ich dahin gekommen bin, weiß ich nicht. Ich hab mich seit Ewigkeiten nicht mehr fotografieren lassen, darauf schwöre ich jeden Eid, außer einmal bei Crichton zu einer Gruppenaufnahme. Aber ich sage Ihnen, Sir, Gott ist mein Zeuge, daß es Momente gibt, in denen ich nicht weiß, was ich tue, und das ist die reine Wahrheit.«
Wimsey nahm das Porträt Zug um Zug unter die Lupe.
»Ihre Nase, also – die steht ein bißchen nach rechts – wenn Sie mir die Bemerkung nicht übelnehmen –, und das tut sie auch auf dem Foto. Das linke Augenlid hängt ein wenig herunter. Stimmt auch. Die Stirn scheint hier auf der linken Seite deutlich einen Höcker zu haben – sofern das nicht beim Drucken passiert ist.«
»Nein!« Mr. Duckworthy schob seine in Unordnung geratene Schmachtlocke beiseite. »Er ist sehr auffällig – und häßlich, finde ich, darum trage ich das Haar darüber.«
Ohne die rote Locke in der Stirn war die Ähnlichkeit mit dem Foto noch verblüffender.
»Mein Mund ist auch schief.«
»Richtig. Zieht sich links ein wenig nach oben. Sehr attraktiv, so ein schiefes Lächeln, finde ich – in einem Gesicht wie dem Ihren. Ich habe schon erlebt, daß so etwas ausgesprochen finster aussah.«
Mr. Duckworthy setzte ein mattes, schiefes Lächeln auf.
»Kennen Sie dieses Mädchen, diese Jessie Haynes?«
»Nicht bewußt jedenfalls. Ich habe nie von ihr gehört – das heißt, ich habe natürlich in den Zeitungen von dem Mord gelesen. Erwürgt – du lieber Gott!« Er streckte die Hände vor sich aus und betrachtete sie traurig.
»Was soll ich machen? Wenn ich fort könnte –«
»Das geht nicht. Man hat Sie unten in der Bar erkannt. Wahrscheinlich wird jeden Augenblick die Polizei hier sein. Nein –« als Duckworthy aus dem Bett zu springen versuchte – »lassen Sie das. Das führt zu nichts und bringt Sie nur in noch schlimmere Ungelegenheiten. Verhalten Sie sich ruhig und beantworten Sie mir ein paar Fragen. Zunächst einmal, wissen Sie, wer ich bin? Nein, woher auch? Mein Name ist Wimsey – Lord Peter Wimsey –«
»Der Detektiv?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen. Nun hören Sie zu. Wo haben Sie in Brixton gewohnt?«
Der kleine Mann nannte ihm die Adresse.
»Ihre Mutter ist tot. Haben Sie sonst noch Verwandte?«
»Ich hatte noch eine Tante. Sie kam, glaube ich, irgendwo aus Surrey. Tante Susan habe ich sie immer genannt. Aber ich habe sie seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.«
»Verheiratet?«
»Ja, ja – Mrs. Susan Brown.«
»Schön. Waren Sie schon als Kind Linkshänder?«
»O ja, zuerst schon. Aber meine Mutter hat mir das abgewöhnt.«
»Diese Neigung kam dann nach dem Luftangriff wieder. Und waren Sie als Kind jemals krank – ich meine so, daß Sie einen Arzt brauchten?«
»Mit vier Jahren hatte ich die Masern.«
»Wissen Sie noch, wie der Arzt hieß?«
»Ich war im Krankenhaus.«
»Ach so, natürlich. Erinnern Sie sich an den Namen des Friseurs in der Holborn?«
Die Frage kam so unerwartet, daß sie Mr. Duckworthy im ersten Augenblick ganz perplex machte, doch nach einer Weile meinte er, der Name sei Biggs oder Briggs oder so ähnlich.
Wimsey dachte einen Augenblick nach, dann sagte er:
»Ich glaube, das ist alles. Bis auf – o ja! Wie heißen Sie mit Vornamen?«
»Robert.«
»Und Sie versichern mir, daß Sie nach Ihrem besten Wissen nichts mit dieser Geschichte zu tun haben?«
»Ja«, sagte der kleine Mann, »das kann ich beschwören. Nach bestem Wissen. O mein Gott! Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher