Winesburg, Ohio (German Edition)
waren sie bei einem Feld mit jungem Mais am Zaun stehen geblieben, und George hatte die Jacke ausgezogen und sie über den Arm gelegt. «Nun, ich bin hier in Winesburg geblieben – ja – ich bin noch nicht weggegangen, aber ich werde ja größer», hatte er gesagt. «Ich habe Bücher gelesen und nachgedacht. Ich werde versuchen, es im Leben zu etwas zu bringen. Ach», erklärte er, «darum geht es doch gar nicht. Vielleicht höre ich einfach auf zu reden.»
Der verwirrte Junge legte dem Mädchen die Hand auf den Arm. Seine Stimme bebte. Die beiden gingen wieder auf der Straße zur Stadt zurück. In seiner Verzweiflung
prahlte George: «Ich werde ein großer Mann sein, der größte, der jemals hier in Winesburg gelebt hat», verkündete er. «Ich möchte, dass du etwas tust, was, weiß ich nicht. Vielleicht geht mich das gar nichts an. Ich möchte, dass du versuchst, anders als andere Frauen zu werden. Du verstehst, was ich meine. Ich sage dir, es geht mich nichts an. Ich möchte, dass du eine schöne Frau wirst. Du verstehst, was ich will.»
Dem Jungen versagte die Stimme, und schweigend erreichten die beiden die Stadt und gingen die Straße entlang zu Helen Whites Haus. Am Tor suchte er etwas Eindrucksvolles zu sagen. Ihm kamen Reden in den Kopf, die er sich zurechtgelegt hatte, doch sie schienen vollkommen sinnlos. «Ich dachte – ich dachte immer – ich hatte die Vorstellung, dass du einmal Seth Richmond heiratest. Jetzt weiß ich, dass du es nicht tun wirst.» Mehr wusste er nicht zu sagen, als sie durch das Tor zur Haustür ging.
An dem warmen Herbstabend, als er im Treppenhaus stand und auf die Massen blickte, die sich über die Main Street wälzten, dachte George an das Gespräch bei dem Feld mit jungem Mais und schämte sich der Figur, die er da abgegeben hatte. Auf der Straße strömten Leute hin und her wie Vieh, das in einem Pferch eingeschlossen ist. Einspänner und Fuhrwerke füllten die schmale Straße fast ganz aus. Eine Kapelle spielte, und kleine Jungen rannten den Gehsteig entlang, tauchten zwischen Männerbeinen hindurch. Junge Männer mit leuchtend rotem Gesicht schritten verlegen umher, ein Mädchen am Arm. In einem Raum über einem der Geschäfte, wo ein Tanz abgehalten werden sollte,
stimmten die Fiedler ihre Instrumente. Die abgehackten Klänge wehten durch ein offenes Fenster herab und hinweg über das Gemurmel und die laut schmetternden Hörner der Kapelle. Das Durcheinander der Geräusche ging dem jungen Willard auf die Nerven. Überall, von allen Seiten, rückte ihm das Gefühl drängenden, wogenden Lebens auf den Leib. Er wollte weglaufen, für sich sein und nachdenken. «Wenn sie bei dem Kerl bleiben will, dann soll sie’s eben. Was kümmert’s mich? Was ändert das für mich?», knurrte er und ging über die Main Street und durch Herns Lebensmittelladen in eine Seitenstraße.
George fühlte sich so gänzlich einsam und mutlos, dass er weinen wollte, doch der Stolz ließ ihn rasch, mit schwingenden Armen, weitergehen. Er kam zu Wesley Moyers Mietstall und blieb in dessen Schatten stehen, um einer Gruppe Männer zuzuhören, die von einem Rennen sprachen, das Wesleys Hengst Tony Tip am Nachmittag auf dem Fest gewonnen hatte. Vor der Scheune hatte sich eine Menschenmenge eingefunden, und vor dieser Menschenmenge stolzierte Wesley auf und ab und prahlte. Er hatte eine Peitsche in der Hand und klopfte immerzu damit auf den Boden. Kleine Staubwölkchen stiegen im Schein der Lampe auf. «Verflucht, hört doch auf mit dem Gerede», rief Wesley aus. «Ich hatte keine Angst, ich wusste, dass ich sie jederzeit schlagen konnte. Ich hatte keine Angst.»
Normalerweise hätte George Willard an der Prahlerei Moyers, des Reiters, starken Anteil genommen. Jetzt aber machte sie ihn wütend. Er wandte sich ab und lief die Straße entlang davon. «Alter Windbeutel»,
grummelte er. «Warum will er immer nur großtun? Warum hält er nicht einmal den Mund?»
George betrat ein leeres Grundstück und stürzte in seiner Eile über einen Haufen Gerümpel. Ein Nagel, der aus einem leeren Fass herausstand, riss ihm die Hose auf. Er setzte sich auf die Erde und fluchte. Mit einer Nadel flickte er den Riss, stand dann auf und ging weiter. «Ich gehe zu Helen Whites Haus, ja, das mache ich. Ich gehe einfach hinein. Ich sage, ich will sie sehen. Ich gehe hinein und setze mich, genau das mache ich», verkündete er, stieg über einen Zaun und rannte los.
Auf der Veranda von Bankier Whites Haus war
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