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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hinunterkommen, will ich auch meinen Lohn haben.«
    Sie lachte nur und setzte sich auf den Schlitten. Ich sah ihr in die Augen, die glühten warm und lustig, da nahm ich ganz vorn Platz, hieß sie sich an mich klammern und fuhr ab. Ich spürte, wie sie mich umfaßte, ihre Hände auf meiner Brust kreuzend, und ich wollte ihr noch etwas zurufen, konnte aber nicht mehr. Die Steile war so jäh, daß ich das Gefühl hatte, in die leere Luft zu stürzen. Sofort suchte ich mit beiden Sohlen den Boden, um anzuhalten oder doch umzuwerfen, denn plötzlich war mir eine Todesangst um Liddy ins Herz gefahren. Es war jedoch zu spät. Der Schlitten sauste unaufhaltsam bergab, ich fühlte nur einen kalten, beißenden Schwall aufgewühlten Schneestaubes im Gesicht, dann hörte ich Liddy angstvoll schreien, dann nichts mehr. Ein ungeheurer Hieb wie von einem Schmiedehammer traf meinen Kopf, irgendwo tat es mir schneidend weh. Das letzte Gefühl, das ich hatte, war das der Kälte.
    Mit dieser kurzen flotten Schlittenfahrt habe ich meine Jugendlust und Torheit gebüßt. Nachher war mit vielem anderen auch meine Liebe zu Liddy ganz verflogen.
    Dem Tumult und ängstlichen Getriebe, das auf den Unfall folgte, war ich enthoben. Für die andern war es eine peinliche Stunde. Sie hörten Liddy schreien, lachten und neckten von oben herab in die Dunkelheit hinein, erkannten endlich, daß etwas Böses geschehen sei, stiegen mühsam herab und brauchten eine Weile, bis sie aus dem Rausch und Übermut heraus zur Überlegung kamen. Liddy war bleich und halb ohnmächtig, jedoch durchaus unverletzt, nur ihre Handschuhe waren zerrissen und ihre feinen weißen Hände etwas zerschunden und blutig. Mich trugen sie für tot hinweg. Den Apfel- oder Birnbaum, an dem der Schlitten und meine Knochen zerschellt waren, habe ich später vergeblich wiederzufinden gesucht.
    Man dachte, ich sei einer Gehirnerschütterung erlegen, doch stand es nicht so schlimm. Kopf und Gehirn waren zwar mitgenommen, und es dauerte sehr lange, bis ich im Spital wieder zur Besinnung kam, aber die Wunde heilte, und das Gehirn ruhte sich aus. Dagegen wollte das mehrfach gebrochene linke Bein nicht wieder ganz in ordnung kommen. Ich bin seither ein Krüppel, der nur hinken, nicht mehr schreiten oder gar laufen und tanzen kann. Damit war meiner Jugend unversehens ein Weg in stillere Lande gewiesen, den ich nicht ohne Scham und Widerstreben einschlug. Aber ich schlug ihn doch ein, undmanchmal scheint es mir, als möchte ich jene abendliche Schlittenfahrt und ihre Folgen keineswegs in meinem Leben missen.
    (Aus: »Gertrud«, 1910)
/ WINTERNACHT /
    Feuerzungen flackern im Kamin,
Vor den Fenstern Grau und Flockenfall,
Durch die müde Abendtrauer hin
Zuckt verflogener Sommer Widerhall.
    Meiner Kindertage denk ich nun,
Lang vergessener Märchenton erwacht:
Glocken läuten und auf Silberschuhn
Geht das Christkind durch die weiße Nacht.
/ DER HEILAND /
    Immer wieder wird er Mensch geboren,
Spricht zu frommen, spricht zu tauben ohren,
Kommt uns nah und geht uns neu verloren.
    Immer wieder muß er einsam ragen,
Aller Brüder Not und Sehnsucht tragen,
Immer wird er neu ans Kreuz geschlagen.
    Immer wieder will sich Gott verkünden,
Will das Himmlische ins Tal der Sünden,
Will ins Fleisch der Geist, der ewige, münden.
    Immer wieder, auch in diesen Tagen,
Ist der Heiland unterwegs, zu segnen,
Unsern Ängsten, Tränen, Fragen, Klagen
Mit dem stillen Blicke zu begegnen,
Den wir doch nicht zu erwidern wagen,
Weil nur Kinderaugen ihn ertragen.
// SCHAUFENSTER VOR WEIHNACHTEN
    Weihnachten ist eine Angelegenheit, von der ich eigentlich nicht gerne spreche. Einerseits weckt das schöne Wort so tiefe, heilige Erinnerungen aus dem Sagenbrunnen der Kindheit, flimmert so magisch im Schein jener blonden Lebensmorgenfrühe und ist so durchstrahlt von unzerstörbar heiligen Symbolen: Krippe, Stern, Heilandkind, Anbetung der Hirten und Könige und Weise aus dem Morgenland! Und anderseits ist Weihnachten ein Inbegriff, ein Giftmagazinaller bürgerlichen Sentimentalitäten und Verlogenheiten, Anlaß wilder orgien für Industrie und Handel, großer Glanzartikel der Warenhäuser, riecht nach lackiertem Blech, nach Tannennadeln und Grammophon, nach übermüdeten, heimlich fluchenden Austrägern und Postboten, nach verlegener Feierlichkeit in Bürgerzimmern unterm aufgeputzten Baum, nach Zeitungsextrabeilagen und Annoncenbetrieb, kurz, nach tausend Dingen, die mir alle bitter verhaßt und zuwider sind, und die mir alle

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