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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und gingen ins Stadtzentrum. Mila war diesmal allein, ohne Nadja zum Aufpassen. Sie spazierten den ganzen Tag in der Stadt herum und gingen ins Russische Museum, wo sie sich einige erschreckende Minuten lang in den Räumen verloren.
    Mila hatte ein Zimmer in einer Jugendherberge gebucht und schaffte es am frühen Abend mit dem stillschweigenden Einverständnis ihrer Kommilitonen, Mervyn hineinzuschmuggeln. Sie wurden einmal durch ein Hämmern an der Tür gestört, aber es war falscher Alarm. Jemand hatte sich nur in der Tür geirrt, es war nicht der KGB, um Mervyn ins Gefängnis zu zerren. Am Abend, nach einer fetttriefenden Ente in einem Restaurant, musste Mervyn aufs Schiff zurück, um die Nacht dort zu verbringen.
    Der nächste Tag verlief fast genauso – ohne einen gemütlichen Ort zum Reden liefen sie den ganzen Tag durch die Straßen und über die Plätze und hielten aneinander fest. Diesmal kehrten sie rechtzeitig zum Hafen zurück. Sie verabschiedeten sich schnell zwischen den geparkten Lastwagen, und Mervyn ging allein zum Schiff. Die Trennung war nicht so traurig wie in Tallinn, doch das kurze Beisammensein machte die Leere, die darauf folgte, noch schmerzhafter.
    »Jetzt bin ich über die dunkel werdende Ostsee auf dem Weg zurück nach Helsinki«, schrieb Mervyn auf dem Schiff, als es die Newa hinunter nach Westen fuhr. »Für mich waren es die glücklichsten zwei Tage in den zwei Jahren, die wir nun getrennt sind. Es war wunderbar, geistig und körperlich. Ich hoffe, ich habe nichts Verletzendes gesagt, während wir zusammen waren. Als ich an Bord ging, blickte ich zurück und sah, wie Deine zarte Gestalt und Deine Beine verschwanden. Ich war sehr, sehr traurig. Ich liebe Dich immer noch, und wir werden weiter um unser Glück kämpfen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass alles sehr schnell gehen wird. Du wirst sehen.«
    Von Stockholm aus schrieb er am 8. September: »Nach unserem Beisammensein in den beiden Städten des Nordens hat mein Leben wieder einen Sinn … Ich glaube, es wird nie wieder so schlimm sein, wie es war.« Mila vermied es, die Begegnungen direkt in ihren Briefen zu erwähnen. Sie erschrak zutiefst, als sie las, dass eine norwegische Fähre im Skagerrak gesunken war, doch sie sah im Atlas nach und überzeugte sich, dass Mervyn nicht an Bord gewesen sein konnte.

    Mein Vater beschloss, wieder zu seiner alten Idee zurückzukehren, in einem anderen Land ein sowjetisches Visum zu beantragen in der Hoffnung, es würde irrtümlich ausgestellt. Am 12. Dezember 1966 fuhr er mit der Nachtfähre von Southend nach Ostende und dann mit dem Zug nach Brüssel. Die erste Nacht verbrachte er in einem billigen, aber sauberen Hotel in der Nähe der Gare du Nord, das sich als gut besuchtes Bordell entpuppte. Ein dicker afrikanischer Gast hielt ihn die ganze Nacht mit seinem Schnarchen wach. Mervyn fand ein Reisebüro, das Reisen nach Moskau organisierte – Belgatourist in der Rue des Paroissiens –, und buchte eine fünftägige Reise. Mervyn füllte den Visumsantrag aus, schrieb seinen Nachnamen aber anders als sonst, den Vorteil nutzend, dass »Matthews« auf mindestens ein Dutzend verschiedene Weisen ins Kyrillische transkribiert werden kann. Wie er gehofft hatte, kamen einen Tag später der Pass und das Visum zurück; sein Name war unbemerkt geblieben, als die sowjetische Botschaft ihn mit den Namen auf der schwarzen Liste verglichen hatte.
    Zwei Tage später war er in Moskau und nahm sich einmal mehr ein Zimmer im Hotel National. Es war seltsam, wieder zurück zu sein, und zutiefst beunruhigend inmitten der vielen Schlägertypen, die die Ausländer im Hotel beobachteten. Da mein Vater nicht sicher sein konnte, dass sein Plan funktionieren würde, hatte er Mila nicht vorgewarnt. Er rief sie am Abend seiner Ankunft von einer öffentlichen Telefonzelle in der Mochowajastraße aus an. Sie war verblüfft, als sie hörte, dass er in Moskau sei. Da er sicherlich in jedem Fall routinemäßig überwacht wurde, beschloss er, keine Tricks anzuwenden. Am nächsten Morgen rannte Mila die Mochowajastraße hinauf und begrüßte ihn vor dem Hotel National, wo er sie bereits erwartete. Sie gingen in Milas Zimmer in der Nähe des Arbat, das so war wie immer. Dann riefen sie den Hochzeitspalast an und erfuhren, dass Jefremowa, die Direktorin, am Montag wieder da sein würde. Am nächsten Tag war Weihnachten, und Mila und Mervyn verbrachten den ganzen Tag in Milas Zimmer. Am Nachmittag

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