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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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Deine kleinen Nerven und Deine Gesundheit. Dein M.«
    Einige Tage später kamen Milas erste Briefe aus Moskau in Mervyns Postkasten im St Anthony’s an.
    »Heute beginnen wir ein neues Leben, ein Leben der Briefe und des Kampfes«, schrieb Ljudmila am 24. Juni. »Es geht mir schlecht ohne Dich, es ist, als habe das Leben angehalten … In den drei Tagen, seit Du gegangen bist, habe ich viel von meiner Kraft, meiner Gesundheit und meinen Nerven verloren. Ich weiß, dass Du mir böse sein wirst, aber ich konnte nichts mit mir anfangen. Ich schlafe schlecht und denke die ganze Zeit, dass Du zurückkehren wirst und ich auf Dich warten sollte. Und so schrecke ich bei jedem Geräusch hoch. Meine Freunde versuchen, mir zu helfen … Jeder hier, der ehrlich und vernünftig ist, findet das [unsere Trennung] dumm, unmenschlich, gemein und schimpflich.«
    Milas Freunde kamen sie trösten, brachten Essen mit und schleppten sie hinaus in den Park, um ein bisschen spazieren zu gehen. Doch Mila war »unter Menschen still geworden, dumm, unfähig, etwas zu sagen«. Sie weigerte sich, ihre Bettwäsche zu wechseln, weil sie immer noch »nach Deinem Körper rochen«. Am Samstag nach Mervyns Abreise nahm sie sich vor, die Energie aufzubringen, ins Theater zu gehen. Cyrano de Bergerac hatte im Sowremennik Premiere, doch zum ersten Mal in ihrem Leben hielt Mila die Vorstellung nicht durch und ging nach dem ersten Akt. Sie fühlte sich, als renne sie herum »wie ein Hamster im Rad«.

    »Ich lebe nur mit meinem Kummer, die Außenwelt existiert nicht mehr für mich«, schrieb sie Mervyn am nächsten Tag. »Es tut mir unendlich leid, dass ich Dich habe gehen lassen. Wir hätten länger warten sollen. Alles ist jetzt tausend Mal schwerer, die Einsamkeit ist unerträglich. Im Institut tue ich allen Frauen leid, aber im Grunde glauben sie, dass Du mich betrogen hast. Sie sagen: ›Wird er es weiter versuchen?‹ Ich sagen ihnen, dass Du es ganz bestimmt versuchen wirst und dass wir einander sehr lieben. Sie laufen alle in die Bibliothek und lesen dort die New York Times . Vielen gefällt Dein Foto … Ich gehe immer so schnell wie möglich nach Hause und versuche, niemanden zu sehen. Meine Mutter hat es sehr schlecht aufgenommen [die Abreise]. Sie sagte, sie wusste, dass das geschehen würde! Du bist ein Ausländer.«

    Wenn mir eins klargeworden ist beim Schreiben dieses Buches, so ist es, dass mein Vater ein zutiefst ehrenhafter Mann ist. Er hatte versprochen, Mila zu heiraten, und er würde sein Wort halten. Mehr noch, er sollte viel dafür opfern, Martas grässliche Anschuldigung zu widerlegen, er, ein Ausländer, würde Mila ihrem Schicksal überlassen, sie zum zweiten Mal zur Waise machen. »Meine Kindheit und Deine Kindheit und die Gegenwart fließen zusammen zu einem Bild des Schmerzes – ich will das alles so sehr in Stücke schlagen und ein fröhliches neues Leben beginnen«, schrieb eine gequälte Mila. »Es ist so schlimm, so kalt und so verwaist, seit Du weg bist.«
    Ljudmila ließ keinen Zweifel daran, wie die Antwort auf die unausgesprochene Frage in Mervyns zaghaften ersten Briefen lautete – ihr ganzes Sein war auf den Kampf ausgerichtet, den sie führen musste, und ihr ganzes Leben wurde aufgezehrt vom Trennungsschmerz.
    »Merwusja! Ich glaube an Dich. Wirst Du mich enttäuschen?«, schrieb Mila. »Ich gehe mit Dir bis ans Ende. Wie die Antwort auch lauten mag, ich bitte Dich, ich flehe Dich an: Wenn Du nicht bis zum Letzten kämpfen willst, so schreib mir einen Brief und schick ihn mit jemandem mit. So ist es leichter für mich. Keine Ausflüchte – das ist am schlimmsten, schlimmer als der Tod.«

    Auf Bill Deakins Vorschlag hin schrieb Mervyn einen detaillierten Bericht über seine Kontakte zum KGB für den MI5. Er traf außerdem häufig David Footman, seinen moralischen Tutor am St Anthony’s, einen hochgewachsenen, ernsten Mann, der außerhalb der Semester in einer großen Kellerwohnung in Chelsea wohnte. Footman war wie Deakin weltmännisch und geschliffen, ausgestattet mit einem überragenden Intellekt und unangestrengter gesellschaftlicher Überlegenheit. Er war im Ersten Weltkrieg mit einem Military Cross ausgezeichnet worden und, was mein Vater damals nicht wusste, während des Zweiten Weltkriegs Leiter der Sowjetabteilung des MI6 gewesen.
    Ich erinnere mich noch deutlich an Footman. Als ich noch sehr klein war, haben wir ihn oft in seiner Wohnung in Chelsea besucht. Er war sehr dünn und immer makellos

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