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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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fahren.«
    »Jetzt?« Sie sah auf die Uhr über dem Herd. »Es ist fünf nach elf.«
    »Dann ist es jetzt genau vierundzwanzig Stunden her, dass ich in Hirschmanns Küche stand und mich bei einem Glas Calvados mit ihm unterhalten habe.«
    »Du hast heute Abend auch etwas getrunken«, gab sie zu bedenken.
    »Nur ein Glas«, sagte er. »Das ist im Rahmen.«
    »Aber jetzt noch, wo es fast Mitternacht ist, zu Hirschmanns Haus zu fahren, das scheint mir ein bisschen zu weit zu gehen.«
    »Deine Schuld«, sagte er und zeigte auf die Zeitschrift, die immer noch auf dem Küchentisch aufgeschlagen lag. »Wenn du mir dieses Bild nicht gezeigt hättest, dann wäre das jetzt kein Thema.«
    »Mein Fehler«, sagte Angela.
    »Das war kein Fehler.« Er schob seinen Stuhl unter den Tisch. »Vielleicht hat es ja etwas zu bedeuten.«
    »Erik«, sagte sie zögernd und sah in die dichte Dunkelheit auf der Rückseite des Hauses hinaus, »es ist doch wohl nicht … gefährlich, da rauszufahren?«
    »Gefährlich? Warum sollte es gefährlich sein?«
    »Nun tu doch nicht so. Ihr seid doch hinter einem Mörder her, oder? Der ist ja wohl noch auf freiem Fuß. Und er weiß, dass ihr ihm auf den Fersen seid.«
    »Das Letzte, was er tun würde, wäre, sich zu Hirschmanns Haus zu begeben«, sagte Winter. »Der Mörder ist weit davon entfernt. Wahrscheinlich ist er schon lange nicht mehr in dieser Stadt.«
     
    Zum zweiten Mal an diesem langen Tag fuhr er über den Fluss. Der Himmel war klar und schwer, er konnte die Sterne über dem Meer sehen. Es waren mehr als drei. Da verlief auch die Grenze für die besten Restaurants der Welt. Er fragte sich warum. Nur drei. Der Himmel war schließlich voller Sterne, Millionen von Sternen.
    Die toten Werftkräne auf der anderen Seite des Flusses wurden von starken Scheinwerfern beleuchtet, die sie aussehen ließen wie die Skelette von seit langem ausgestorbenen Dinosauriern. Die Sterne waren es, die zum Tod der Dinosaurier geführt hatten, dachte er, oder zumindest ein großer Meteorit, der auf die Erde geknallt war. Vielleicht kein Stern im wissenschaftlichen Sinne, aber dennoch ein kosmischer Körper, der sich in die Erdatmosphäre drängte und den Tod mit sich brachte.
    Wir brauchen keine Sterne hier auf der Erde, dachte er. Lass sie am Himmel stehen. Lars Hirschmann hatte Sterne, und vielleicht hatte ihm das den Tod gebracht.
    Der Fischereihafen war still und dunkel, keine Geräusche, kein Licht. Er konnte die Konturen von ein paar Trawlern erkennen, die am Kai schlummerten. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte zwanzig vor zwölf.
    Er meinte, das Wasser plätschern zu hören, als er vor Hirschmanns Haus parkte. Wahrscheinlich waren es die Segelboote, die sanft auf den Wellen schaukelten, die ein unsichtbares Schiff weit draußen auf dem Meer verursacht hatte. Er konnte die Masten der Segelboote gegen den helleren Himmel über der Stadt ausmachen. Wie ein Wald von toten Bäumen standen sie da. Das war paradox. In den letzten Monaten war die Natur in ganz Göteborg explodiert, und gleichzeitig waren Tausende von Segelbooten ins Wasser gelassen worden, deren Masten nackt waren, wie die Natur im Winter. Sie sollten wenigstens Laub umgehängt bekommen, dachte er. Einen Kranz aus Ästen und Blättern, wie um den Frühling und die Rückkehr des Lebens zu feiern. Als kleine, aber wichtige Geste.
    Winter sperrte das Auto per Fernbedienung ab. In der Nacht wirkte das Geräusch fast so laut wie ein Pistolenschuss. Er war allein. Aus einigen Fenstern in den Häusern weiter unten am Wasser fiel Licht. Auf dem letzten schmalen Weg nach Långedrag war ihm kein Auto begegnet. Nur, als er in den kleinen Weg eingebogen war, der zu Hirschmanns Haus führte, hatte er hinten am Fähranleger Autoscheinwerfer gesehen. Als der Fahrer wendete, hatte es ausgesehen, als würden die Lichter einen Kreis beschreiben.
    Winter öffnete die Tür mit dem Nachschlüssel, den er sich hatte anfertigen lassen.
    Er ging durch den Flur, ohne das Licht einzuschalten. Die schwache Beleuchtung von der Straßenlaterne schräg vor dem Haus ließ drinnen alles wie silbrig schimmern. Selbst wenn er noch nie hier gewesen wäre, wäre es nicht schwer gewesen, sich in dem Haus zurechtzufinden.
    Er stand im Esszimmer, das plötzlich einen anderen Glanz bekam, wie von mattem Gold. Draußen fuhr ein Auto vorbei, und der Lichtkegel der Scheinwerfer wurde an die Wand geworfen. Er dachte an fallende Sterne. Das Licht war so schnell verschwunden, wie es gekommen

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