Winterland
Angela roch es.
Sie stand hinter ihm, die Arme um seinen Bauch geschlungen.
»Ist lange her, dass du das gemacht hast«, sagte sie.
»Das mache ich … Lars zu Ehren«, sagte Winter.
»Siehst du es so?«
»Ja, allerdings. Noch vor einem halben Tag glaubte ich, nie wieder an einem Herd stehen zu wollen, aber jetzt denke ich schon wieder anders.«
»Du hast einfach Hunger«, sagte Angela und lächelte.
»Nicht nur das.«
Sie sog noch einmal die satten Düfte des sizilianischen Auflaufs aus Auberginen, Tomaten und Paprika ein.
»Hast du Kapern drin?«, fragte sie.
»Kapern und Rosinen und gehackte Oliven und Zucker und Rotweinessig und etwas Salz und geröstete Pinienkerne«, zählte Winter auf.
»Er riecht nach … Italien«, sagte Angela.
»Das soll es auch«, sagte Winter.
Angela ließ ihn los, brach sich ein Stück von dem toskanischen Bauernbrot ab und tauchte es in eine Schale mit warmem bagna cauda in einem kleinen Fonduetopf, der über einer Spiritusflamme warm gehalten wurde. Sie schmeckte das charakteristische Aroma des Sardellen- und Knoblauchdips.
»Ich decke mal den Tisch«, sagte sie.
»Wahrscheinlich konntest du Elsa nicht wach halten, oder?«, meinte Winter.
Er hätte gern mit seiner dreijährigen Tochter zu Abend gegessen. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte er sie nur ein paar Minuten gesehen.
»Sie mochte die Sardellenpaste sehr gern«, sagte er, und Angela hörte den Stolz in seiner Stimme.
»Kinder mögen Salziges«, sagte sie.
»Wir müssen für morgen etwas aufheben«, sagte er.
Angela nickte, ging zu einem Regal und nahm zwei tiefe Teller heraus.
»Wahrscheinlich möchtest du diese für die Pasta, oder?«, fragte sie.
Winter nickte, beugte sich über den Mörser und roch an dem Pesto. Es war fertig. Er setzte einen großen Topf mit Wasser auf den Herd und schaltete ein. Wenn sie die caponata gegessen hatten, würde er Kartoffelscheiben und frische Brechbohnen acht Minuten kochen und sie dann mit dem Pesto und den frisch gekochten Linguine zu einem einfachen, aber sehr guten trenette al pesto vermischen.
Er fühlte sich ruhig, oder ruhiger, das war oft so, wenn er kochte. Das war eine beruhigende Tätigkeit. Es wirkte irgendwie heilend. Ein heilender Prozess, musste er denken, etwas zu verbinden, das zunächst einmal geteilt war. Hatte Lars Hirschmann seine Kunst so betrachtet? Winter wusste es nicht. Darüber hatten sie nie geredet. Jedenfalls nicht in dieser Weise.
Er hatte ein Glas Chianti zur Pasta getrunken, Wasser zur caponata und zu bagna cauda. Durch das Küchenfenster drangen Geräusche aus der Nacht. Vier Stockwerke waren es bis unten. Sie konnten Wortfetzen hören, die aus dem Garten herauftönten. Das war ein sicheres Zeichen für den Frühling, Stimmen in der Nacht und Menschen, die beschlossen, draußen zu sitzen, wenn der Wind auch nach Einbruch der Dunkelheit noch etwas wärmer war. Als er am Wein nippte, musste er an den Ausdruck »Einbruch der Dunkelheit« denken. Bei wem wurde eingebrochen? In was? Plötzlich fiel ihm Dylan Thomas ein, don’t go gently into that good night, rage, rage, against the dying of the light, aber das Absterben des Lichts konnte manchmal auch wie eine sanfte Befreiung sein, wie ein Streicheln nach dem scharfen Licht am Himmel.
Heute brauchte er Dunkelheit. Er wollte hier sitzen, nur mit den beiden Kerzen auf dem Tisch, die fast wie ein Teil der Dunkelheit wirkten.
Doch es sollte anders kommen.
Angela war die Ursache dafür.
»Kürzlich habe ich ein Bild von Lars Hirschmann gesehen«, sagte sie und drehte ihr Glas. Der rote Wein schimmerte schwarz in dem Kelch, als sie ihn gegen eine Kerzenflamme hielt. »Das war in der Elle, glaube ich. Oder? Ich weiß nicht genau.« Sie stellte das Glas ab. »Habe ich dir das nicht erzählt?«
»Nein.«
»Auf jeden Fall war er es. Von seinen Schülern und ein paar anderen Lehrern umgeben.«
»Schüler? Lehrer?«
»Ja, in seiner Schule in Italien.«
»Hatte er eine Schule in Italien?«, fragte Winter und verspürte mit einem Mal den kalten Zug des Windes von draußen. Er konnte sehen, wie sich die Gardinen am Fenster bewegten.
»Erik, also wirklich, habt ihr nie darüber geredet?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Wir haben über viele andere Sachen geredet. Ich hatte ja auch keinen Anlass, ihn nach etwas zu fragen, wovon ich nichts wusste, und er hatte offenkundig keine Lust, davon zu erzählen.«
»Manchmal verstehe ich euch Männer nicht«, sagte sie.
»Und was soll das
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