Winternacht
und Aue – und sein Freund Chatter mit meiner Cousine Rhiannon und mir bekannt und brachten uns bei, mit unseren Zauberkräften umzugehen. Es war Grieve, der den Bund zwischen mir und Ulean, meinem Windelementar, schloss und mich lehrte, wie ich ihre Hilfe in Anspruch nehmen konnte.
Als ich sechs geworden war, hatte meine Mutter, Krystal, mich die Treppe vom Haus der Schleier hinabgeschleift und mit mir New Forest verlassen, um auf der Straße zu leben. Meine Tante Heather, die einzige Person, die für mich so etwas wie Stabilität bedeutet hatte, war ganz plötzlich für mich verloren gewesen.
Schon früh hatte ich gelernt, wie man auf den Straßen überlebt. Zwar hatte ich mich danach gesehnt, nach New Forest zurückzukehren, aber meine Mutter, die ihre eigenen Zauberkräfte mit Drogen und Alkohol betäubte, hatte ohne mich keine Chance gehabt, weswegen ich bei ihr geblieben war, bis sie eines Tages im Rinnstein verreckt war: eine Bluthure, die an einen miesen Freier zu viel geraten war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit Uleans Hilfe dafür gesorgt, dass wir Cops und Dealern immer einen Schritt voraus bleiben konnten.
Nun bin ich endlich nach New Forest, Washington, zurückgekehrt, doch zu spät. Myst hat meine Tante Heather gefangen genommen und hält die Stadt in ihren eisigen Fängen. Ihr Volk schwärmt im ganzen Land aus, und ihr Ziel ist es, die Vampire zu besiegen und Magiegeborene und Yummanii – Menschen – gleichermaßen zu unterjochen und wie Vieh zu halten.
In einem früheren Leben vor langer, langer Zeit war ich Mysts Tochter. Damals hatten Grieve und ich uns bereits geliebt. Um zusammen sein zu können, hatten wir uns gegen unsere Familien gestellt und unter den Kopfgeldjägern und Soldaten, die uns gefangen nehmen sollten, ein Blutbad angerichtet. Wir verbargen uns hinter Felsen und Bäumen, stellten ihnen Fallen, rissen sie in Stücke und schwelgten in ihrem Blut.
Grieve und ich hatten um unsere Liebe gekämpft und für unsere Liebe getötet, und als wir am Ende in die Ecke getrieben worden waren und nicht mehr fliehen konnten, waren wir für unsere Liebe gestorben. Doch vorher hatten wir uns mit einem Trank, der uns wiederauferstehen lassen würde, bis in alle Ewigkeit aneinander gebunden.
Nun sind wir in einem anderen Leben zurückgekommen und haben einander wiedergefunden. Wieder sind wir zwischen Vampirfeen und Cambyra gefangen, doch dieses Mal ist Grieve derjenige, der an den Indigo-Hof gebunden ist, denn Myst hat ihn zu einem der Ihren gemacht. Dieses Mal haben sich auch die Vampire eingemischt. Außerdem bin ich an Lannan durch einen Vertrag gekettet, auf dessen Einhaltung er beharrlich pocht.
Wir hatten Bündnispartner, doch einige davon haben uns verraten, so dass wir uns nun verstecken müssen. Unsere Chancen auf einen Sieg sind lächerlich gering, doch Grieve und ich werden allen Widrigkeiten trotzen.
Wir haben keine andere Wahl.
Sobald wir im Haus waren, schaltete ich eine trübe Taschenlampe ein. Das Wohnzimmer war stellenweise geschwärzt, hatte das Feuer aber weitgehend überlebt, doch durch die eingestürzte Küchendecke drang der Schnee herein, und ich schauderte, als ich das Ausmaß der Zerstörung betrachtete. Mysts Leute hatten sich hier drinnen ausgetobt, das war zu erkennen. Die Polsterung der Sitzmöbel war aufgerissen und zerfleddert, Löcher gähnten in den Wänden, und die wunderschönen Antiquitäten waren entweder zerbrochen oder stark beschädigt.
Langsam wanderte ich zum Schreibtisch meiner Tante. Nie wieder würde sie hier sitzen und in ihr Tagebuch schreiben. Beim Anblick der zerschrammten Holzplatte war ich umso froher, dass Rhiannon nicht mitgekommen war. Es war schlimm, die eigene Mutter an den Feind zu verlieren, und sehen zu müssen, wie so viele Kindheitserinnerungen zerstört worden waren, würde wohl jedem den Rest geben. Während ich mit der Hand über die handgeschnitzte Eiche strich, deren polierte Oberfläche nun von Kerben und Rissen verunziert wurde, tat mir das Herz weh.
»Es tut mir leid«, sagte Kaylin leise hinter mir. »Kann ich etwas tun?«
Ich drehte mich um und betrachtete sein glattes, faltenfreies Gesicht. Kaylins Seele war noch im Bauch seiner Mutter mit einem Nachtflor vermählt worden, so dass er nie gänzlich menschlich gewesen war. Er war chinesischer Abstammung, umwerfend gutaussehend und trug das lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Seine Geschmeidigkeit und der durchtrainierte Körper hätten niemals
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