Wir Ertrunkenen
Sandbank auf Grund lief. Die Leute mussten ins Wasser springen und an Land waten. Am Ufer standen die feindlichen Soldaten und erwarteten sie. Die Schaluppe kam frei und nahm sofort wieder Kurs auf die Christian VIII. Einige Fischerboote hielten sich ganz in der Nähe des Schiffs auf, doch plötzlich legten sie die Ruder aus. Sie ruderten zurück an Land. Auch die Schaluppe kehrte um. Von der Fallreepspforte war ein Schrei des Protestes zu hören.
Laurids trat einen Schritt von der Reling zurück, hinein in die wallenden Rauchwolken.
«Ich habe Laurids gesehen», behauptete Ejnar danach immer. «Ich schwöre, ich habe ihn gesehen.»
Ejnar stand am Ufer, als die Christian VIII. in die Luft flog. Er war mit einer Eskorte von der Gefion an Land gebracht worden und wartete nun mit den Überlebenden der Fregatte auf den Abtransport. Der Sieg hatte die deutschen Soldaten überrascht, und zunächst sah es so aus, als wüssten sie nicht, was sie mit uns anfangen sollten. Nach und nach erreichten die Männer der beiden besiegten Kriegsschiffe das Ufer, unsere Zahl wurde ständig größer.
Dann waren vom Wasser her Warnrufe zu hören.
Die meisten von uns hatten mutlos und erschöpft im Sand gesessen und vor sich hin gestarrt, während die Soldaten mit Bajonetten auf uns zielten, die in ihren Händen zitterten. Nun blickten wir auf. Es begann am Heck des Linienschiffs, aus dem eine Feuersäule mit durchdringendem Knall in die Luft schoss. Feuersäule auf Feuersäule brach nun durch das Deck – jedes Mal, wenn eine weitere Pulverkammer sich entzündete. Masten und Rahen sahen von einem Moment auf den anderen aus wie abgebrannte Zündhölzer. Die Segel flatterten als verkohlte Aschefahnen davon. Der große Rumpf aus massivem Eichenholz war nichts als ein Spielzeug in den brutalen Händen des Feuers und der Zerstörung. Doch wir hatten noch nicht das Ende vor Augen. Denn durch die enorme Hitze wurden die Kanonen des verlorenen Schiffs gezündet, die seit dem Augenblick der Kapitulation schussbereit gewartet hatten und nun ihre todbringende Ladung in einer einzigen Salve ans Ufer schickten.
Auf dem überfüllten Strand erhob sich ein Schrei des Entsetzens, als die Kugeln zwischen uns einschlugen. Der Tod unterscheidet nicht. Kriegsgefangene, Soldaten und holsteinische Zivilisten wurden gemeinsam zerschmettert. Vom Himmel regnete es brennende Wrackteile, die überall dort, wo sie niedergingen, Tod und Verderben brachten. In der Stunde des Sieges waren von überall her Klageschreie zu hören. Es war
der letzte Gruß des sterbenden Schiffs an Sieger und Besiegte, eine mörderische Breitseite, die keinen Unterschied zwischen Freund und Feind kannte. Mit diesem Feuerkranz auf der Eckernförder Bucht zeigte der Krieg sein wahres Gesicht.
Einen Augenblick sah es so aus, als wären alle am Strand tot.
Überall lagen Menschen. Nicht ein Einziger stand aufrecht. Viele lagen mit dem Gesicht im Sand, die Arme ausgestreckt, als würden sie zu dem Feuer dort draußen auf See beten. Hier und da brannte ein Stück des Wracks im Sand. Dann begannen einige der liegenden Gestalten sich langsam aufzurichten, wobei sie das brennende Schiff ängstlich im Auge behielten. Vom Wasser her hörte man Rufe. Einige Boote, die der Besatzung des Schiffs bei der Rettung geholfen hatten, waren getroffen und brannten. Leutnant Stjernholm hatte sich auf einer Jolle mit vier Mann und der Schiffskasse auf den Weg gemacht, doch das Heck des Rettungsboots wurde weggeschossen, als die Christian VIII. explodierte. Die Schiffskasse ging verloren, der Leutnant konnte sich indes an Land retten. Er wurde von einem der Männer aus der Jolle begleitet, als er tropfnass das Ufer erreichte. Die anderen waren ertrunken.
Am Strand herrschte Stille, abgesehen vom leisen Gejammer der Verwundeten und dem Knistern des Feuers in den brennenden Wrackresten, als plötzlich eine laute Stimme über den Strand und das Wasser gellte.
«Ich habe Laurids gesehen! Ich habe Laurids gesehen!»
Wir hoben die Köpfe und schauten uns um. Wir erkannten Ejnars Stimme, und die meisten von uns dachten, dass der arme Kerl den Verstand verloren hätte. Jetzt brach am ganzen Strand Chaos aus. Alle schrien durcheinander. Es schien, als müssten sich die Männer dieses verstörten Haufens beweisen, dass sie noch immer am Leben waren, indem sie so viel Lärm wie möglich machten. In der allgemeinen Verwirrung hätten wir unseren Wächtern durchaus entkommen können, doch wir hatten den Mut
Weitere Kostenlose Bücher