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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Leben. Das Nicht-Leben, wenn du so willst. Ich habe es nicht begriffen, denn ich habe es nicht anders gekannt.
    Andere werden sagen, ich hätte von meiner schweren Krankheit gewusst und sei deshalb vorzeitig aus dem Leben gegangen. Als hätte ich die Schmerzen gefürchtet. Was für eine Unterstellung. Die Menschen neigen gern dazu, den anderen die eigenen Empfindungen anzudichten.Was soll’s. Der Arzt hat einmal so gesagt und einmal anders. Seiner werten Ansicht nach könnte ich noch zwischen drei Monaten und dreißig Jahren leben, mit ständig zunehmenden Schmerzen oder einigen erträglichen oder keinen. Auf diese Erkenntnisse mein Leben bauen? Es interessiert mich nicht.
     
    Heinrich. Ich stehe an der Tür, die zwischen deinem und meinem Zimmer hängt. Die der Zimmermann, der uns nicht kennt, dort eingerichtet hat, um Menschen voneinander zu trennen, die sich nicht kennen. Heinrich, ich kenne dich. Ich lege mein heißes Gesicht an dieses spröde Holz und fühle dich auf der anderen Seite. Ich möchte bei dir sein, für immer. Es ist mir gleich, ob du auch noch an einen anderen denkst. Ich möchte dich nicht stören. Ich weiß, dass du mit einigem noch nicht fertig bist. Ich warte. Es fällt mir schwer, und zugleich möchte ich dir mein Warten schenken. Du sollst es wissen. Ich –
    liebe dieses Warten auf dich. Mein Heinrich.
     
    Es war nicht immer so, es ist nur jetzt so.
    An manchen Tagen war es unerträglich. Ich lief in unserer Wohnung umher und biss mir in die Hände. Ich presste meine Fäuste gegen meine Schläfen und wollte mir befehlen, hör auf, und zugleich schrie ich in meinem Kopf: Hör niemals auf!
    Wenn du dann kamst, war ich ganz sanft, ich war ganz erschöpft von meinem Warten und ohne Erwartung. Ich war nur glücklich, dass du da warst. Ich war wie die Sonne, die aufgeht, wie der Wind, der sich manchmal überraschend auf dem Paradeplatz erhebt, wenn geradenoch kein Lüftchen wehte, wie der Regen, der fällt ohne zu fragen. Und du warst es auch. Du meine Sonne, mein Regen, mein Wind. Ich stand nun nachts manchmal am Fenster und sah nach den Sternen über der Stadt.
     
    Du hast mir nichts als Schwäche gedeutet, wie andere es getan haben, um mir dann umso ärger wehzutun. Dir galt gar nichts als Schwäche, du hast mich verwundert angesehen, ja, gäbe es denn eine, so müsste ich sie doch achten, oder nicht? Ich war ein vernünftiger Mensch, seit ich mich erinnern kann. Du hast mich gelehrt, ohne Vernunft zu sein, und ich habe dadurch eine größere begriffen. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, aber ich glaube, mein lieber Freund, dass du alles verstehen kannst. Wer sonst.
    Ich liebe deine Traurigkeit, Heinrich, sie ist dir in die Seele gesenkt wie eine große Schönheit, wie der weiteste Himmel, den ich kenne, wie die Vögel, die über ihn hinweg fliegen in ferne Länder, und du lässt mich darin dir nahekommen, du stößt mich nicht fort. Ich lege mich in deine Traurigkeit hinein, und sie trägt mich. Liebster.
    Wir legen unsere Namen ab wie all die Gefühle unseres Lebens, die wir noch einmal durchwandert haben in dieser letzten langen Nacht. Die unerfüllten Sehnsüchte, die erfüllten Augenblicke. Am Ende ist das Leben nur das. Henriette von Kleist werde ich niemals heißen. Ich will nur Henriette sein.
    Sag mir, dass du mich liebst, Heinrich, sag es mir ein einziges Mal.
    Wir können uns nicht mit allem versöhnen, glaube mir das.
     
    Es heißt, dass die, die zusammen in den Tod gehen, auch in der Ewigkeit zusammen bleiben. Es ist alles mehr als rätselhaft. Die Seele verlässt die sterbliche Hülle, sagt die Kirche, doch am Tag des Jüngsten Gerichts werden wir auferstehen mit unseren Körpern. Wozu eigentlich? Das sagt uns keiner.

12
    Der Morgen, er geht uns nichts an. Wir wollten die Nacht wissen, die letzte Nacht dieser beiden. Die Nacht endet, wenn es hell wird, morgens um halb sieben, sieben. Henriette hat den Türdrücker aus der Tür zu Heinrichs Zimmer gezogen und wird das Dienstmädchen kommen lassen. Es geht das Mädchen nichts an, wie oft sich diese Tür geöffnet oder geschlossen hat, in dieser Nacht. Sie kam ja einmal, mit dem Kaffee um vier, nicht der Mann, der den Ofen eingeheizt hat und den letzten Rum gebracht hatte, und den Kaffee vor Mitternacht. Sondern sie. Verschlafen, verquollen, mürrisch, was müssen die Leute nachts um vier Kaffee trinken? Henriette trug noch das graubraune Kleid, inzwischen hat sie es ausgezogen, natürlich, sie hat sich ausgeruht, und

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