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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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den Holzspan und ging zurück ins Zimmer.
    Sie putzte schon seit einer ganzen Weile alles im Schlafzimmer, was sie in den letzten Jahren vernachlässigt hatte. Dazu gehörte auch der alte Holzschrank. Den hatte sie nie benutzt und jetzt beschlossen, ihn von Grund auf zu reinigen und die Tischdecken, die darin waren, endlich auszusortieren. Man würde die wenigen, die noch brauchbar waren, zumindest reinigen müssen, sie stanken bestialisch nach Mottenkugeln. Das würde sogar eine hundertjährige Nase noch riechen, und Katty wollte ihrer großen Schwester diesmal so wenig Anlasszur Kritik wie möglich bieten. Sie wünschte sich, dass sowohl das Geburtstagsfest als auch die gemeinsamen Tage auf dem Hof harmonisch verliefen. Vielleicht würde sich Gertrud dann endlich nicht mehr dagegen wehren, bei ihr einzuziehen. Gut, dass Paula auch vor dem Fest anreiste, sie hatte schon immer einen guten Einfluss auf Gertrud gehabt. Merkwürdig, dachte Katty, ich würde nie auf die Idee kommen, Paula ebenerdig ein Zimmer zu räumen, dabei ist sie nur zwei Jahre jünger als Gertrud. Paula würde auf der ersten Etage schlafen und jeden Abend die schmale Treppe hinaufgehen müssen. Warum nicht, dachte Katty, sie kann’s ja noch gut.
    Paula war völlig unkompliziert. Katty liebte sie uneingeschränkt und hatte sie gerne um sich. Das Verhältnis zu Gertrud war von jeher schwieriger gewesen. Natürlich liebte sie auch die älteste Schwester, aber irgendwie gerieten sie immer aneinander. Gertrud hatte Katty erzogen, und sie tat es bis heute. Sie maßregelte ihre jüngste Schwester gelegentlich, als sei sie ein ungehorsames Kind, das sich weigert, sein Zimmer aufzuräumen. Katty blickte auf den Staubwedel in ihrer Hand und musste lachen. »Brave Katty«, sagte sie laut und wischte über den alten Schreibtisch am Fenster. Ihr Blick fiel wieder auf den Ordner. Der muss raus aus Gertruds Zimmer, beschloss sie, nahm die Akte, stapfte die Treppe hinauf in das Zimmer, in dem sie schlafen würde, und legte sie dort auf das Nachtkommödchen. Katty rümpfte die Nase. Der Aktenordner stank genauso wie alles andere im Schrank – nach Mottenkugeln. Katty zog einige der losen Blätter heraus und begann zu lesen:
    »Die Klägerin behauptet, der Beklagte unterhalte intimen Umgang mit der Zeugin Franken.«
    Die Zeugin Franken, das war sie, Katty Franken. Sie hatte es gehasst, so genannt zu werden. Es hatte so verharmlosend geklungen. In Wahrheit war sie doch die eigentlich Beschuldigte gewesen.

    Das Urteil war gespickt mit den unglaublichsten Geschichten, vierzehn Seiten lang. Über manche konnte Katty inzwischen lachen, andere trieben ihr die Röte ins Gesicht. Sie war als liederliches schamloses Weib dargestellt, das eine Ehe auf perfide Art und Weise zerstört hatte. Dabei, so ließen die Anschuldigungen vermuten, hatte sie alles getan, um die Ehefrau, ihre einstige Schulfreundin, zu demütigen.
    Was mussten sich die Richter gedacht haben, als sie diese pikanten Vorwürfe zu verhandeln hatten, zumal sie einen Mann betrafen, der im Land Nordrhein-Westfalen als christlich-demokratischer Landtagsabgeordneter Rang und Namen hatte? Katty blätterte weiter. Seitenlang nur Zeugenaussagen. Es waren bestimmt dreißig Freunde, Bekannte, Verwandte und Nachbarn angehört worden. Vier Jahre Scheidungskrieg waren in diesem Aktenordner festgehalten, für eine Ehe, die gerade einmal fünf Monate gedauert hatte.
    Wie hatte es nur so weit kommen können? Katty war darüber auch nach all den Jahren noch fassungslos. Doch als sie sich zurückerinnerte, wurde ihr bewusst, dass alles mit Theodors Tod begonnen hatte.

9. März 1945
Gefallen auf dem Feld der Ehre
    Sie sah den Brief. Und sie fand ihre Gefühle nicht. Er war tot, so stand es da. Einmal quer über dem Briefumschlag, in großen roten Buchstaben: Gefallen für Großdeutschland. In dem Umschlag befand sich seine gesammelte Feldpost, darunter Briefe, die sie selbst an ihn geschrieben hatte. Katty strich mit den Fingerkuppen über das raue Papier. Gab es Briefverkehr, von dem sie nicht gewusst hatte? Hatte er eine heimliche Liebe gehabt? Ein paar »Briefe an einen unbekannten Soldaten« befanden sich auch im Umschlag. Monatelang war in Schulen Propaganda gemacht worden, junge Mädchen sollten deutsche Soldaten aufmuntern, indem sie Briefe schrieben, immer adressiert an »einen unbekannten Soldaten«. Die Soldaten, die wenig eigene Post bekamen, wurden mit solchen Briefen von fremden Schulmädchen getröstet. Sie

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