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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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    Prolog
    Der Mann, der in der Ecke des
     verlassenen Friedhofs zwischen der Poor Jewry und der Sybethe Lane
     wartete, zuckte zusammen, als eine Eule in der alten Eibe über ihm
     mit klagendem Ruf ihre Geisterschwingen ausbreitete und wie ein dunkler
     Engel über wucherndes Gras und Dornengestrüpp davonschwebte. Der
     Beobachter sah, wie der Vogel sich auf sein kreischendes Opfer stürzte
     und dann wieder mühelos wie eine Rauchwolke zum sternenklaren Himmel
     aufstieg. Den Mann schauderte, und er fluchte. Geschichten aus seiner
     Kindheit fielen ihm ein, Geschichten von Gestaltwandlern, jenen Hexen und
     alten Weibern der Finsternis, die ihr Aussehen verändern konnten und
     dann solche verlassenen, einsamen Orte heimsuchten. Die Nacht war warm,
     aber dem Mann war kalt. Die Zeiten waren unruhig. Tagsüber lachte er
     über die Klatschgeschichten von einem Anker an einem Seil, der aus
     einer Wolke herabhing und in einem Erdhügel bei Tilbury steckte. Oder
     vom König der Pygmäen mit seinem großen Kopf und feurigen
     Antlitz, den man gesehen hatte, wie er auf einer Ziege durch die Wälder
     im Norden der Stadt geritten war. Lachende Teufelchen, so klein wie Spitzmäuse,
     sprangen wie Fische im Netz im Gras um den Galgen zu Tyburn herum. Solche
     Geschichten waren nur ein Spiegel der Zeiten, Widerhall des
     Prophetenwortes: »Wehe dem Königreich, dessen König ein
     Kind ist!«
    Eine Prophezeiung, die jetzt
     in England wahr wurde: Der goldhaarige Richard war nur ein Knabe, und die
     Staatsgeschäfte lagen in den Händen seines raffgierigen Onkels,
     des Regenten John von Gaunt, des Herzogs von Lancaster, der unfähig
     schien, Balsam in die Wunden des Reiches zu gießen. Französische
     Cialeeren überfielen und plünderten die Städte an der
     Kanalküste. Im Norden drängten die Schotten über die Grenze
     und feierten Orgien des Brandschatzens und Plünderns, und in den
     Grafschaften rings um London protestierten die Bauern, unter der
     Steuerlast ächzend und an die Scholle gefesselt, erbittert gegen die
     Herren des Landes und planten blutige Aufstände.
    Gaunt aber war glitschig wie
     ein Fisch: Außerstande, dem rebellischen Volk noch weitere Steuern
     abzupressen, hatte er jetzt das Wunder vollbracht, die in
     Auseinandersetzungen verstrickten Gilden von London zu einen, um Geld von
     den reichen Bürgern und Kaufleuten zu bekommen. Dem mußte ein
     Ende gemacht werden. Der Beobachter im Dunkel wünschte nur, es gäbe
     einen leichteren Weg, das zu bewerkstelligen. Er nagte an seiner
     Unterlippe. Gaunt mußte vernichtet werden, das war das Wichtigste.
     Mit der Revolte würde im Königreich eine neue Ordnung errichtet
     werden, und die »Große Gemeinschaft«, wie die Bauernführer
     sich selbst nannten, würde entscheiden, wer leben und wer sterben
     sollte, wer Macht bekommen und wer Handel treiben würde. Die
     Umsichtigen in der Stadtregierung machten bereits Anstalten, mit diesen Männern
     Freundschaft zu schließen.
    »Ich bin hier.«
    Der Mann schrak zusammen. Hörte
     er Gespenster?
    »Ich bin hier«,
     wiederholte die Stimme, leise und kehlig.
    »Wo bist du?«
    »Wir haben dich
     umzingelt. Beweg dich nicht. Lauf nicht weg. Höre, was ich dir zu
     sagen habe.«
    »Wie heißt du?«
     fragte der Mann und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu bremsen und
     die Panik, die ihm die Gedärme zusammenknotete.
    »Ich bin Ira Dei«,
     antwortete die Stimme aus der Dunkelheit des Friedhofs. »Ich bin der
     Zorn Gottes. Und Gottes Zorn wird sich ergießen über jene, die
     ernten, wo sie nicht gesät haben, die Gewinne sammeln, wo sie kein
     Recht dazu haben, und die die Armen der Erde unterdrücken, als wären
     sie Würmer und sonst nichts.«
    »Was wollt ihr?«
    »Alles neu machen.
     Dieses Königreich in ein Zeitalter der Unschuld führen, denn als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?«
    *
    Der Mann nickte. Er hatte
     diesen Knittelvers schon von den Bauern gehört, die ihn wie eine
     Hymne beständig sangen; sie wollten auf London marschieren, die Stadt
     in Glut und Asche legen, den Onkel des Königs ergreifen, ihm den Kopf
     abschlagen und auf eine Stange stecken und dann eine Prozession
     veranstalten.
    »Bist du für uns?«
     fragte die Stimme.
    »Natürlich!«
     stammelte der Mann.
    »Und machen die Pläne
     des Regenten Fortschritte?«
    »Das Bankett ist morgen
     abend.«
    »Dann mußt du
     handeln. Tu, was wir wollen, und wir betrachten dich als Freund.«
    »Ich habe

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