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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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suchte weiter. Ein Brief von Theodors Vater fiel ihr in die Hände. Die langgliedrige Schrift mit den ausschweifenden Bogen nach oben und unten war unverkennbar. Sie verriet einen Mann, der gewohnt war, zu entscheiden, und der Befehle gab. Theodor war immer anders gewesen als sein Vater, sensibler. Die beiden hatten sich nie besonders gut verstanden. Vielleicht hätte er nicht in den Krieg ziehen müssen, dachte Katty. Er war der einzige Sohn eines bedeutenden Mannes. Hundertacht Morgen Land mussten bewirtschaftet werden, da hätte der erwachsene Sohn sicher bleiben können. Aber er wollte weg, er war fasziniert vom Krieg und von der Kameradschaft, und er konnte nicht mehr ertragen, was im Haus geschah. Wie sein Vater herrschte und alles und jeden für sich beanspruchte. Dazu gehörte auch sie selbst, wusste Katty, und stöberte weiter in den verschmutzten Briefen. Nein, es gab keine Frau, niemanden, der ihm nähergestanden hatte als sie. Und trotzdem gelang es ihr nicht, zu weinen. Sie stellte Reflexionen an, so nüchtern konnte man das wohl bezeichnen. Sie erschrak darüber, suchte noch einmal, nach Trauer, nach Tränen, nach dem brennenden Kloß im Hals. Aber da war nichts. Sie dachte den Schmerz, doch es tat nicht weh. Nur ein erbarmungsloses Fliegen der Gedanken. Sie hatten keine Zeit, eine Beerdigung vorzubereiten. Gab es überhaupt etwas zu beerdigen? Er sei als Held gestorben, hatte der Goldfasan mitgeteilt. Der Mann machte dem Spottnamen wirklich alle Ehre. So könnte man auch im Karneval gehen, dachte sie. Heinrich liebte diesen Ausdruck für die Parteistreber. Er weigerte sich, sie ernst zu nehmen. Mit ihr hatte der Mann nicht gesprochen. Nur mit Heinrich. Sie hatte er keines Blickes gewürdigt. Aber wer war sie schon. Die Hauswirtschafterin. Mehr nicht. Dass sie den Jungen großgezogen hatte, ihn liebte wie ihr eigenes Kind – aber tat sie das überhaupt? Schließlich saß sie immer noch da und überlegte, statt zu weinen, plante, statt zu schluchzen.
    Heinrich hatte dagestanden wie eine Eiche. Er war groß und überragte alle, deshalb bekam man leicht den Eindruck, er sei arrogant. Seine Augenbrauen waren gleichmäßig und dicht, der Kopf kahl, aber von makelloser Form. »Bitte?«, das war alles, was er gesagt hatte, als er den Mann in der lächerlich goldbehangenen Uniform in Empfang nahm. Heinrichs Stimme war hart und schneidend gewesen. Er war kein Freund der Partei. Von Anfang an nicht, und jetzt erst recht nichtmehr. Krieg und Elend hatten sie gebracht, Deutschland hatte Land verloren. Das war für ihn unverzeihlich. Er war Bauer durch und durch, auf ewig der Scholle verbunden. Das war sein Lieblingsspruch. Theodor hatte ihm mit elf ein Holztäfelchen geschnitzt, auf dem dieses Lebensmotto stand, es hing über der Tür zum Wohnzimmer. Heinrichs Familie lebte seit 1636 auf dem Tellemannshof in Wardt. Am Anfang war da wohl nicht viel mehr als eine Hütte gewesen, aber im Laufe der Jahrhunderte war ein wunderschöner Gutshof entstanden und niemals hätte ein Hegmann auch nur einen Morgen Land verkauft oder aufgegeben. Heinrich Hegmann war tiefgläubiger Katholik, Anstand und Ehre waren für ihn von enormer Bedeutung. Und dieses braune Gesindel war ehrlos und unanständig. Auch Katty liebte den Hof. Es war ein erhebendes Gefühl, wenn sie die kurze Allee auf das Haupthaus zulief. Sie mochte die niederrheinischen Herrenhäuser mit den klaren Strukturen und Proportionen. Die Eingangstür war leicht erhöht, deshalb konnte man abreisenden Gästen noch lange hinterherschauen. Und man hatte von dort einen guten Blick in den gepflegten Gemüsegarten. Rechts und links vom Eingang befanden sich je zwei Fenster, in der oberen Etage vier Sprossenfenster, das war symmetrisch und schön, fand sie. Die Stallungen gingen nach hinten hinaus und waren hufeisenförmig angelegt, was ungemein praktisch war. Bei Regen konnte man alle Tiere füttern, ohne auch nur einen Tropfen abzubekommen. Katty war Heinrichs Vorfahren sehr dankbar dafür. Sie hasste es, nass zu werden. Da Heinrich Hegmann für seine Verbandstätigkeiten ständig unterwegs war, verwaltete sie längst den gesamten bäuerlichen Betrieb. Sie wies die Leute an, aber musste auch oft genug selbst die Mistgabel in die Hand nehmen. Das störte sie nicht. Sie war robust und glaubte fest daran, dass Schwielen an den Händen ein Gütezeichen waren. Heinrich sah das genauso. Und er schätzteKatty für ihre zupackende Art. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sie

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