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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Torres
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die Tränen kullerten, und ich war sieben.

Der See
    E ines unerträglichen Nachts mitten in einer Hitzewelle fuhr Paps mit uns allen an den See. Niemand trug mehr als Badesachen, und Ma hatte uns befohlen, Handtücher über die Sitze zu legen, damit unsere Haut nicht an dem Vinyl kleben blieb. Wir fuhren schweigend die lange Straße entlang, so als würden wir vor dem Fernseher sitzen, nur dass wir die Hitze hörten und sahen.
    Ma und ich konnten nicht schwimmen, also hielt sie sich an Pap s ’ Rücken fest und ich mich an ihrem, und er schwamm mit uns eine kleine Runde, breitete die Arme vor sich aus und schlug mit den Beinen unter uns, wobei unsere Beine mit eingerollten Zehen entspannt und reglos durchs Wasser zogen.
    Ab und zu wies mich Ma auf etwas Interessantes hin, eine Ente, die auf dem Wasser landete, den Kopf nach hinten gereckt und mit flatternden Flügeln, oder auf einen Wasserläufer mit dürren Beinchen, der kleine Ringe auf die Wasseroberfläche malte.
    »Nicht so weit«, sagte sie zu Paps, doch der schwamm und schwamm, leicht und langsam, und das Ufer hinter uns dehnte sich aus, wurde schmal und bog sich, bis es zu einer unendlich dunklen, fernen, bewaldeten Mondsichel wurde.
    In der Mitte des Sees fühlte sich das Wasser schwärzer und kühler an, und Paps schwamm direkt in einen Klumpen schleimiger, teerschwarzer Blätter. Ma und ich versuchten, die Blätter von uns wegzustrampeln, aber wir mussten uns mit einer Hand festhalten, und am Ende wirbelten die Blätter in unserem Fahrwasser und klebten uns wie Egel an Rippen und Oberschenkeln. Paps hob eine Handvoll in die Luft, der Klumpen schmolz ihm durch die Spalten zwischen den Fingern und löste sich zu kleinen Flecken im Wasser auf, und zigarettengroße Fische tauchten auf und knabberten an den Blätterstückchen.
    »Wir sind zu weit«, sagte Ma. »Bring uns zurück.«
    »Gleich«, sagte Paps nur.
    Ma redete davon, wie unnatürlich es sei, dass Paps schwimmen könne, so als ob er hier in die ser Hinterwäldlergegend geboren worden wäre und nicht sechs Stunden südlich in Brooklyn. Niemand in Brooklyn könne schwimmen, sagte sie. Das meiste Wasser, was sie je an einer Stelle gesehen hatte, war, wenn einer der Männer aus dem Block den Hydranten aufgedreht hatte und das Wasser herausgeschossen war. Sie war nie wie die anderen Kinder durch den Wasserstrahl gelaufen, sagte sie – zu hart und gemein und erschreckend kalt –, aber hatte gern etwas abseits gestanden, wo der Bürgersteig an die Straße stieß, und hatte sich das Wasser um die Knöchel fließen lassen.
    »Ich war schon verheiratet und habe drei Jungs auf die Welt gebracht, bevor ich jemals in etwas Tieferes als eine Pfütze gestiegen bin«, sagte sie.
    Paps erzählte nicht, wann oder wo er schwimmen gelernt hatte, aber er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alles zu lernen, was man zum Überleben braucht. Er hatte die Muskeln und den Willen dazu. Er war auf dem Weg, unzerstörbar zu werden.
    »Mit dir ist es wohl andersrum, oder?«, fragte Ma nach hinten. »Du bist mit all diesen Seen und Flüssen aufgewachsen, und du hast zwei Brüder, die schwimmen können wie Goldfische im Glas – warum kannst du nicht schwimmen?«
    Sie stellte die Frage, als würden wir uns zum ersten Mal begegnen, als würde sie meine Lebensumstände nicht kennen – meine tollpatschigen, erschreckenden Versuche im tiefen Wasser, das eine Mal im Freibad, als ich vom Highschool-Rettungsschwimmer aus dem Becken gezogen worden war und Wasser ins Gras gewürgt hatte, siebenhundert Augen auf mich gerichtet, der Lärm der Schreie und Platscher und Trillerpfeifen für einen Augenblick unterbrochen, weil alle meine schwachen Knochen betrachteten, starrten und starrten, ob ich wohl weinen würde, was ich tat –, als wäre ihr gerade erst aufgegangen, wie merkwürdig es war, dass ich hier war, mich an ihr und Paps festklammerte, nicht bei meinen Brüdern, die sich in den See gestürzt hatten, sich gegenseitig die Köpfe unter Wasser drückten, sich zu ersäufen versuchten, dann wieder hinaussprangen und im Wald verschwanden.
    Natürlich konnte ich darauf unmöglich antworten, denn, um die Wahrheit zu sagen, ich hatte Angst. Es gab nur eine Person, die so etwas in unserer Familie jemals aussprach: Das war Ma, und meistens hatte sie noch nicht mal Angst, sondern war nur zu faul, selbst in den Kriechkeller hinabzusteigen, oder sie sagte es, um Paps ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, um ihn dazu zu bringen, sie zu kitzeln

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