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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Rheinebene, der Kaiserstuhl steht wie ein riesiger Nachttopf in der Landschaft, Kirchtürme tauchen auf, verschwinden wieder. Theres schaut immerzu zum Fenster hinaus. Als die ersten Stadtbebauungen an uns vorbeihuschen, kramt sie den Zettel mit dem Igel und dem Hasen raus. Sie nimmt einen Kugelschreiber von der Ablage und kritzelt Wörter auf die Rückseite.
    Geht es dir gut?, frage ich.
    Es geht mir gut, sagt sie. Könntest du mich am Markt rauslassen?
    Aber…
    Bitte, sagt sie. Es geht mir gut. Lass mich am Markt raus.
    Ich halte bei der Straßenbahnhaltestelle am Martinstor. Sie steigt aus, winkt kurz, ist hinter einer Ecke verschwunden. Um mich herum hupende Autos, ein Fahrradkurier huscht vorüber, das Radio quietscht und dröhnt. Ich schalte es aus. Über den Häusern jetzt Wolken. Wann montiert Ecki endlich neue Scheibenwischer?

    10    Das Leben ist so beschaffen, dass es irgendwann aufhört. Ich werde im nächsten Jahr dreißig, und es gilt, Vorbereitungen zu treffen: Besitz abstoßen, Bekanntschaften einschränken, jede Tätigkeit in Anführungsstriche setzen. Es sind die anderen, die arbeiten, erziehen, sparen. Unsereins sinkt in die Geschichte zurück wie ein Stein. Nur in der Geschichte hat unsereins Platz. Heute gibt es für unsereins nur eins: durchhalten. Sich still verhalten. Bloß nicht recht behalten. Ich bin ein Wasserträger. Einer von denen, die in der Straße wohnen, an der ein anderer mit seiner Familie vorbeifährt. Ich bin der nächtliche Um-die-Ecken-Schleicher. Ich bin der Über-die-Brücke-Geher. Ich bin das Rückgrat der Nation, das im Schrank hängt und verstaubt. Es gilt, die Gedanken an mich in allen Köpfen auszulöschen. Es gilt, in Vergessenheit zu geraten. Es gilt, einen spezifischen Neglekt für die eigene Person zu erzeugen, ein Loch in der Wahrnehmung der anderen. In wenigen Jahren wird es so sein, als hätte ich nie gelebt. Es sind die anderen, die mal gelebt haben werden.
    Es ist jetzt ständig dunkel. Blätter segeln durch die Luft, der Wind ist plötzlich bitterkalt geworden. Morgens wate ich durch Träume, die Augen verklebt, im Mund Trockenheit. Der Urin treibt mich ins eiskalte Klo, danach bin ich wach. Ich trage Handschuhe, schabe an der Scheibe, der Motor dampft.
    Du erinnerst dich an Ludwig, sagt Mutter. Den Sohn von Beate?
    Wir sitzen im Ufercafé an der Dreisam, einer neumodischen Erscheinung der Stadt, ausgedacht von Leuten, die zu Nudeln Pasta sagen. Ich winke der Bedienung zu, bestelle noch einen Espresso.
    Mutter legt mir die Hand auf den Unterarm. Du hast schon mit vierzehn so viel Kaffee getrunken, weißt du noch?
    Es ist schön, sie lächeln zu sehen. Sie trägt die Haare seit einiger Zeit kurz. Die einzige Möglichkeit bei grauen Haaren, wie sie sagt. Sie hat wieder zugenommen. Es geht ihr gut. Diese Tätigkeit in der Behindertenschule füllt sie aus, und das freut mich, auch wenn es mich ein bisschen traurig macht. Eine gewisse Sentimentalität schwingt da immer mit, zwischen Mutter und Sohn. Vielleicht ist das ein urtümlicher Zusammenhang.
    Also Ludwig, sagt Mutter, hat mit seinem Studium zwei Jahre nach dir angefangen und arbeitet jetzt schon. Er baut Turbinen in China. Wusstest du, dass es dort im Restaurant als unhöflich gilt, Reis nachzubestellen? Interessant, nicht? Wie es in anderen Ländern so zugeht.
    Das stimmt, sage ich. Aber hier ist es auch schön. Wir haben den Schwarzwald und Frankreich und die Schweiz. Und muss man unbedingt irgendwelche Turbinen bauen?
    Sicher muss man das nicht, sagt Mutter. Hauptsache, man ist zufrieden.

    11    Fünf Tage lang ist Theres nicht bei Rudi gewesen. Am Abend sitze ich in meinem Sessel und schreibe eine Liste. Ich werde für Theres vegetarische Maultaschen machen. Mit Theres ins Kommunale Kino gehen. Mit Theres ein Haus in Elzach mieten.
    Ich schrecke aus einem Halbschlaf hoch, der Fernseher läuft ohne Ton, irgendeine Volksmusiksendung.
    Ist ja gut!, rufe ich im Gang.
    Ich wanke von Wand zu Wand. Ich muss meine Jogginghose festhalten, seit einigen Wochen rutscht sie ständig runter. Ich öffne die Tür.
    Süßes oder Saures?
    Ein Skelett und ein Löwe. Beide nur halb menschengroß. Zwei Papiertüten werden mir entgegengestreckt.
    Saures?, frage ich.
    Süßes oder Saures, das sagt man so, sagt das Skelett. Sie müssen uns Süßigkeiten geben. Sonst werden wir Sie ziemlich erschrecken.
    Warum denn erschrecken?
    Das ist eben so, sagt der Löwe. Ein Brauch.
    Ich wanke in die Küche und öffne die

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