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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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schnell klar, daß alles an diesem Bus der Unbequemlichkeit diente. Ich saß neben der Heizung, so daß mein linkes Bein so heiß wurde, daß ich hören konnte, wie die Haare darauf verbrutzelten, während meine oberen Extremitäten der kalten Zugluft ausgesetzt waren. Die Sitze hatte ein Zwerg entworfen, der sich an seinen ausgewachsenen Mitmenschen rächen wollte; eine andere Erklärung konnte es dafür nicht geben. Der junge Mann vor mir kurbelte seinen Sitz so weit zurück, daß sein Kopf fast in meinem Schoß lag. Er las ein Comic-Heft mit dem Titel Tommy og Tigern und hatte ein Gesicht, bei dessen Anblick man begreift, daß Gott Sinn für Humor haben muß. Die Rückenlehne meines eigenen Sitzes stand in einem Winkel, der sofortige und anhaltende Nackenbeschwerden verursachte. An der Seite befand sich ein Hebel, mit dessen Hilfe man sie vermutlich in eine angenehmere Position hätte bringen können, doch wußte ich aus eigener Erfahrung, daß die Lehne zurückgeschnellt wäre und die Kniescheiben der süßen, alten Dame hinter mir zerschmettert hätte, sobald ich ihn auch nur berühren würde. Also ließ ich die Finger davon. Die Frau neben mir, unverkennbar eine Veteranin dieser Art von Polarexpeditionen, packte Unmengen von Zeitschriften, Papiertüchern, Halspastillen, Salben und Bonbons in die Tasche am Sitz vor ihr, rollte sich dann in eine Decke ein und schlief so gut wie ununterbrochen während der ganzen Fahrt.
    Wir ließen die sich mehr und mehr ausdehnenden Vororte von Oslo hinter uns und holperten durch das verschneite Zwielicht ins offene Land. In der endlosen Dämmerung wirkten die vereinzelten Dörfer und Bauernhäuser gepflegt und wohlhabend. In den Fenstern jedes Hauses brannten weihnachtliche Lichter. Bald sank ich in diesen nicht unangenehmen Zustand der Geistesträgheit, der mich bei langen Reisen meistens überkommt, und mein Kopf baumelte über meinen Schultern, wie bei jemandem, der die Kontrolle über seine Nackenmuskeln verloren hat und sich daraus überhaupt nichts macht.
    Meine Reise hatte begonnen. Ich würde Europa wiedersehen.
    Zum ersten Mal kam ich 1972 nach Europa – schmächtig, schüchtern und allein. Damals gingen die einzigen Billigflüge von New York nach Luxemburg, mit Zwischenstop auf dem Keflavik Airport von Reykjavik. Die Flugzeuge hatten ihre besten Jahre längst hinter sich. Gelegentlich fielen Sauerstoffmasken ungebeten aus ihren Fächern über unseren Köpfen und hingen dort, bis eine Stewardeß mit einem Hammer und einer Handvoll Nägel zwischen den Zähnen erschien, um den Fehler zu beheben. Und die Toilettentür sprang auf, wenn man nicht von innen seinen Fuß dagegen stemmte, was alles, was man ansonsten dort zu tun beabsichtigte, zu einer echten Herausforderung werden ließ. Vor allen Dingen waren die Maschinen fürchterlich langsam. Es dauerte anderthalb Wochen, um nach Keflavik zu kommen, einem kleinen, grauen Flughafen in der Mitte eines flachen, grauen Nirgendwo, und weitere anderthalb Wochen, bis man endlich Luxemburg erreicht hatte. Mit Ausnahme der Crew und zweier leitender Angestellter irgendeiner Heringsfabrik in der ersten Klasse waren ausschließlich Hippies an Bord. Es war, als befände man sich in einem Greyhound Bus auf dem Weg zu einem Folkfestival. Ständig holten Leute Gitarren oder Mandolinen oder Weinflaschen der Marke Thunderbird hervor und knüpften Kontakt zu ihren Nachbarinnen, der zweifellos zu jeder Menge dynamischem Sex an den verschiedensten mediterranen Stränden führen würde. Die langen, aufregenden Wochen vor dem Abflug habe ich, wie ich gestehen muß, nur mit Hilfe einiger lüsterner Tagträume überstanden, in denen ich mich im allgemeinen an der Seite einer lechzenden, jungen Schönheit wiederfand, die von ihrem Vater gegen ihren Willen auf das »Institut für an Nymphomanie leidende Frauen« in Lausanne geschickt worden war und die sich irgendwo mitten über dem Atlantik an mich wenden und fragen würde: »Verzeihung, aber hätten Sie was dagegen, wenn ich mich eine Weile auf Ihr Gesicht setze?« Tatsächlich erwies sich mein Nachbar dann jedoch als eine unter Akne leidende Bohnenstange mit Buddy-Holly-Brille. In seiner Hemdtasche trug er ein Sortiment von Kugelschreibern in einer Plastikhülle, auf der zu lesen stand GRUBER’S EISENWARENHANDLUNG, FLAGELLATION, OKLAHOMA. WAS SIE BEI UNS NICHT FINDEN, BRAUCHEN SIE AUCH NICHT oder etwas in der Art. An seinem Hals hatte er Furunkeln, die wie schlecht verheilte Schußwunden

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