Wo bitte geht's nach Domodossola
europäischen Festlands, um mich von dort auf den Weg nach Istanbul zu machen. Unterwegs wollte ich möglichst viele von den Orten wiedersehen, die Katz und ich besucht hatten. Ursprünglich hatte ich vor, im Frühling aufzubrechen, doch kurz vor Weihnachten rief ich bei der Universität von Tromsø an, der nördlichsten Universität der Welt und Hochburg der Nordlichtforschung, um in Erfahrung zu bringen, welche Jahreszeit sich am besten eignete, die himmlische Lightshow mitzuerleben. Die Telefonverbindung war so schlecht, daß ich den freundlichen Professor, mit dem ich sprach, kaum verstehen konnte – er hörte sich an, als säße er mitten in einem tosenden Schneesturm, und ich stellte mir vor, wie eine Tür auf-und zuschlug und Schnee in seine morsche, einsame Hütte in der Wildnis wirbelte –, aber ich verstand genug, um daraus entnehmen zu können, daß gerade jetzt, im tiefsten Winter, bevor die Sonne Ende Januar wieder aufgehen würde, der zuverlässigste Zeitpunkt sei. Zufällig standen die Zeichen in diesem Jahr besonders günstig für das Nordlicht – was irgendwie mit der starken Sonnenaktivität zusammenhing –, allerdings war ein klarer Himmel erforderlich, um es sehen zu können, und dessen kann man sich im nördlichen Norwegen nie sicher sein.
»Sie sollten sich mindestens einen Monat Zeit nehmen«, rief mir der Professor zu.
»Einen Monat?« fragte ich erschrocken.
»Mindestens.«
Einen Monat. Einen Monat in der kältesten, dunkelsten, trostlosesten, entlegensten Gegend Europas. Wem ich auch davon erzählte, jedermann fand die Vorstellung äußerst amüsant. Und da saß ich nun in diesem schaukelnden Bus und holperte nach Norden. Es gab kein Zurück mehr.
Kurz nachdem wir Oslo verlassen hatten, stellte ich mit einigem Unbehagen fest, daß niemand im Bus rauchte. Ich konnte kein Verbotsschild entdecken, wollte aber nicht der erste sein, der sich eine ansteckt und dann von jedermann auf Norwegisch angepflaumt wird. Ich war mir ziemlich sicher, daß der Mann schräg vor mir, auf der anderen Seite des Ganges, Raucher war – er wirkte sichtlich zerfahren. Noch klarer war der Fall bei dem jungen Mann auf dem Sitz direkt vor mir. Ich habe noch nie einen erwachsenen Leser von Comic-Heften getroffen, der nicht auch eine besondere Vorliebe für Tabak und Tätowierungen gehegt hätte. Ich konsultierte die Express 2000-Broschüre, die auf jedem Sitz auslag, und las entsetzt die Worte »tilsammen 2000 km non-stop i 30 timer«. Nie in meinem Leben hatte ich auch nur ein Wort Norwegisch gelernt, aber selbst ich konnte das übersetzen.
Zweitausend Kilometer! Nonstop! Dreißig Stunden ohne eine Zigarette! Plötzlich wurden mir all die Unannehmlichkeiten wieder bewußt. Mein Nacken schmerzte. Mein linkes Bein brutzelte wie Speck in der Pfanne. Der junge Mann vor mir hatte seinen Kopf dichter an meinem Schritt, als je ein Mann zuvor. Ich mußte mich mit weniger Platz begnügen, als wäre ich in meinen Koffer geklettert und hätte mich per Post nach Hammerfest geschickt. Und nun sollte ich auch noch dreißig Stunden ohne Nikotininfusion überstehen. Das ging über meine Kräfte.
Glücklicherweise war die Lage nicht ganz so dramatisch, wie es den Anschein hatte. An der schwedischen Grenze, etwa zwei Stunden hinter Oslo, hielt der Bus an einer Zollstelle in den Wäldern, und während der Fahrer in der Hütte verschwand, um die Formalitäten zu erledigen, stürzten die meisten Fahrgäste, darunter auch ich und jene beiden Männer, von denen ich es nicht anders erwartet hatte, aus dem Bus, um im kalten Schnee von einem Fuß auf den anderen zu treten und eine Handvoll Zigaretten zu rauchen. Wer konnte schließlich wissen, wann sich wieder eine solche Gelegenheit bieten würde? Nachdem ich an meinen Platz im Bus zurückgekehrt war – und die ewige Ungnade der Dame neben mir auf mich gezogen hatte, weil ich ihr innerhalb von fünf Minuten zum zweiten Mal auf den Fuß getreten war –, stellte ich jedoch nach eingehenderem Studium der Express 2000-Broschüre fest, daß im Laufe der gesamten Strecke offenbar drei Fahrtunterbrechungen vorgesehen waren. Eine dieser Pausen erfolgte am Abend in einer Cafeteria im schwedischen Skellefteå. Es war ein seltsames Restaurant. Vor dem Tresen hing eine überdimensionale Speisekarte an der Wand, auf der neben jedem Gericht ein roter Knopf angebracht war. Drückte man einen der Knöpfe, wußten die Leute in der Küche, daß sie nun mit der Vorbereitung dieses Gerichts
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