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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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aussahen und penetrant nach Vick VapoRub rochen.
    Fast während des gesamten Fluges las er in der Heiligen Schrift, wobei er mit den Fingerspitzen beider Hände jeder Zeile des Textes folgte und die Worte gerade so laut vor sich hin murmelte, daß ich sie in meinem rechten Ohr als leidenschaftliches Geflüster wahrnahm. Ich war auf das Schlimmste gefaßt. Ich weiß nicht, warum religiöse Fanatiker immer unter dem Zwang stehen, jeden bekehren zu müssen, der ihnen über den Weg läuft. Ich laufe auch nicht herum und versuche, aus ihnen Fans von St. Louis Cardinal zu machen. Aber diese Leute lassen keine Gelegenheit aus.
    Wenn mich heute jemand von ihnen anspricht, erkläre ich ihm, daß Leute, die zu Hush Puppies weiße Socken tragen und obendrein eine Plakette mit der Aufschrift HI! ICH BIN GUS!, mich nicht einmal dazu bewegen können, aus einem brennenden Auto zu steigen, geschweige denn eine lebenslange Verpflichtung einer Gottheit gegenüber einzugehen, und ich lege ihm nahe, das nächste Mal jemanden zu schicken, der nicht nur intelligenter, sondern auch besser gekleidet ist als er. Aber damals war ich zu wohlerzogen, hörte nur höflich zu und reagierte auf die Beteuerungen, daß Jesus mein Leben zum Guten wenden könnte, mit unverbindlichen »Hmmmms«. Irgendwo über dem Atlantik, mir wurden beim Sitzen immer mehr die 200 Kubikzentimeter persönlicher Raum bewußt, wie einem das eben auf langen Flügen so geht, erspähte ich unter dem Sitz vor mir eine Münze. Ich beugte mich vor und griff danach. Als ich mich wieder aufrichtete, bemerkte ich, daß mein Nachbar mich mit diesem unheilverkündenden Blick ansah.
    »Hast du Jesus gefunden?« fragte er unvermittelt.
    »Oh, nein, es ist eine Münze«, antwortete ich, lehnte mich schnell zurück und gab während der nächsten sechs Stunden vor zu schlafen, wobei ich mich bemühte, sein flehendes Geflüster, Jesus in meinem Herzen Einlaß zu gewähren, zu überhören.
    Heimlich sah ich aus dem Fenster und hielt nach Europa Ausschau. Ich kann mich noch gut an den ersten Anblick erinnern. Das Flugzeug fiel aus den Wolken, und unter mir lag plötzlich dieser geheimnisvolle Teppich aus kleinen, grünen Feldern. Dörfer mit Kirchtürmen verteilten sich über die hügelige Landschaft, die aussah wie eine aufgeschüttelte Steppdecke, die sich soeben wieder über ein Bett breitete. In Amerika war ich schon oft geflogen, aber selten hatte ich aus einem Flugzeugfenster mehr gesehen als endlose, goldene Felder, so groß wie Belgien, sich windende Flüsse und schwarze Highways, so dünn wie Bleistiftstriche und so schnurgerade wie straff gespannte Drähte. Und immer schien die Weite fast leer zu sein. Man glaubte, wenn man seine Augen nur genügend anstrengte, könnte man bis nach Los Angeles blicken, selbst wenn man sich über Kansas befand. Doch hier war die Landschaft so perfekt und aufgeräumt wie die Kulisse einer Modelleisenbahn. Alles war so grün, so kompakt, so ordentlich, so bezaubernd, so … europäisch. Ich war hingerissen und bin es noch heute. Ich hatte einen gelben Rucksack dabei, der so enorm groß war, daß ich bei der Zollabfertigung halb damit rechnete, gefragt zu werden, »Irgendwas zu verzollen?
    Zigaretten? Alkohol? Ein totes Pferd?«, und verbrachte den Tag damit, unter seinem Gewicht durch die alten Straßen der Stadt Luxemburg zu torkeln. Ich befand mich in einem Zustand aufgekratzter Benommenheit – eine ungewohnte Mischung aus Aufgeregtheit, Erschöpfung und intensiver optischer Anregung. Alles wirkte so lebendig, so stark konzentriert und neu. Ich fühlte mich wie jemand, der zum ersten Mal ins Freie tritt. Es war alles so anders: die Sprache, das Geld, die Autos, die Nummernschilder der Autos, das Brot, das Essen, die Zeitungen, die Parks, die Menschen. Nie zuvor hatte ich eine Kreuzung mit Zebrastreifen gesehen oder eine Straßenbahn oder einen ungeschnittenen Laib Brot (allein die Möglichkeit wäre mir nie in den Sinn gekommen). Nie zuvor hatte ich gesehen, daß jemand eine Baskenmütze trägt und dennoch ernst genommen wird, daß Leute jeden einzelnen Bestandteil ihres Abendessens in einem anderen Laden kaufen und ihre eigenen Einkaufstaschen mitbringen. Nie zuvor hatte ich gefiederte Fasane und enthäutete Kaninchen im Fenster einer Metzgerei hängen sehen oder einen Schweinekopf, der grinsend auf einem Teller liegt, oder ein Päckchen Gitanes oder den MichelinMann. Und die Leute – das waren Luxemburger. Ich weiß nicht, warum mich das so

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