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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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aufzustehen, zu erschöpft, um irgendetwas anderes zu tun, als mir flüchtig die Frage durch den Kopf gehen zu lassen, ob mein frommer Freund aus dem Flugzeug wohl noch immer zimmerlos durch Luxemburg irrte. Vielleicht lag er jetzt zitternd in einem Hauseingang oder auf einer Parkbank, hatte sich einen Pullover nach dem anderen angezogen und sich die Jeans mit ein paar Seiten der Luxembourger Zeitung ausgestopft, um sich die Kälte vom Leib zu halten.
    »Hoffentlich«, sagte ich, kuschelte mich ins Bett und schlief elf Stunden lang.

    Ein paar Tage wanderte ich durch die bewaldeten Berge der Ardennen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an den Rucksack gewöhnt hatte. Jeden Morgen, wenn ich ihn mir auf die Schultern wuchtete, torkelte ich eine Minute, als hätte mir jemand einen Schlag mit dem Holzhammer versetzt, doch dann fühlte ich mich unglaublich in Form. Es war, als hätte ich einen Kleiderschrank mit in die Ferien genommen. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals so zufrieden und lebendig gefühlt habe wie in diesen drei oder vier Tagen im Süden Belgiens. Ich war zwanzig Jahre alt und befand mich in einer im großen und ganzen perfekten Welt. Das Wetter war freundlich und die Landschaft grün, bezaubernd und mit kleinen Bauernhöfen übersät, in deren Nähe sich Gänse und Hühner an den Straßen tummelten, Straßen, über die nur selten ein Auto fuhr.
    Alle ein, zwei Stunden kam ich durch ein verschlafenes Dorf, wo zwei alte Männer mit Baskenmützen vor einem Café saßen, Bols tranken und schweigend beobachteten, wie ich näherkam und wieder aus ihrem Blickfeld verschwand. Mein fröhliches »Bonjour!« beantworteten sie mit einem angedeuteten Nicken, und am Abend, wenn ich ein Zimmer in einem kleinen Hotel gefunden hatte und mich in das Café am Ort setzte, um zu lesen und Bier zu trinken, schenkte mir ein ganzes Dutzend Menschen dieses kurze Nicken, das ich in meiner Begeisterung für ein Zeichen der Wertschätzung hielt. Vermutlich wäre mir sogar entgangen, wie sie von mir abgerückt wären, hätte ich mich, ermutigt durch sieben oder acht Jupiter Pils oder Donkle Beer, an einen von ihnen gewandt und mit ruhiger, freundlicher Stimme gesagt »Je m’appelle Guillaume. J’habite Des Moines.«
    So verging der Sommer. Vier Monate streifte ich durch den Kontinent, durch Großbritannien und Irland, durch Skandinavien und Deutschland, durch die Schweiz, Österreich und Italien, und staunte still vor mich hin. Es war ein so glücklicher Sommer, wie ich ihn nie wieder erlebt habe. Ich habe ihn so sehr genossen, daß ich, kaum daß ich wieder zu Hause war, den Inhalt meines Rucksacks in eine Müllverbrennungsanlage kippte und im nächsten Sommer nach Europa zurückkehrte, diesmal in Begleitung einer Highschool-Bekanntschaft namens Stephen Katz, was ich sehr bald bereuen sollte. Katz gehörte zu der Sorte von Menschen, die in einem dunklen Hotelzimmer liegen und stundenlang erzählen und erzählen, während man selbst zu schlafen versucht. In anschaulichen, manchmal schier perversen Einzelheiten schilderte er, was er mit verschiedenen HighschoolNymphchen anstellen würde, wenn man ihn nur ließe. Oder er kündigte mit Worten wie »Hier kommt einer. Bist du bereit?« seine Fürze an und klassifizierte sie nach Lautstärke, Dauer und Wohlgeruch, wie er es nannte. Der einzige Vorteil einer Auslandsreise mit Katz war der, daß man es dem restlichen Amerika ersparte, den Sommer mit ihm verbringen zu müssen.
    Er wurde für mich schnell zu einer bloßen Geräuschkulisse, zu einer Person an der anderen Seite des Tisches, die jede Mahlzeit mit dem Ausruf »Was ist das für eine Scheiße?« begrüßte, zu einem hyperaktiven Fremden, der sich überall danebenbenahm und sich unerklärlicherweise ständig an meiner Seite befand, wohin ich auch ging. Nach einer Weile hatte ich ihn mehr oder weniger abgeschaltet, und der Sommer wurde fast ebenso angenehm und in gewisser Hinsicht ebenso einsam wie der vorherige. Seit damals hatte ich fünfzehn der vergangenen siebzehn Jahre in England gelebt, am Rande dieses herrlichen Kontinents, von dem ich in all diesen Jahren kaum etwas zu Gesicht bekam. Ein viertägiger Aufenthalt in Kopenhagen, drei Reisen nach Brüssel, eine kurze Spritztour durch die Niederlande – mehr hatte ich in meinen fünfzehn Jahren als Europäer nicht aufzuweisen. Es war an der Zeit, das zu ändern. Von vornherein stand für mich fest, daß ich meine Reise am Nordkap beginnen würde, am nördlichsten Punkt des

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