Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
herabgestiegen … Diejenigen, die das aushalten konnten, würden schon sehen, was danach kam. Diejenigen allerdings, die einen Ausweg hatten finden können, würden – soweit sie konnten – das herausholen, woran sie glaubten, was übriggeblieben war von den Kämpfen jener Menschen, dem Erbe und den Überresten, die sie nicht nur in der Erde dieses Landes, sondern auch in der Geschichte ihrer Gefühle beerdigt hatten. Natürlich würden die Wunden auch wieder verbunden werden. Sie würden verbunden werden, aber sie würden sich nie mehr schließen, ihre Schmerzen würden für diejenigen, die nicht vergessen konnten, auf immer zu spüren sein … Das konnte ich sogar damals sehen …
In so einer Verfassung war es gar nicht leicht, zum Militärdienst einzurücken. Gerade dort wurde mir wieder einmal klar, was für eine starke Waffe Schweigen manchmal sein konnte. Doch ich möchte an diesen Abschnitt meines Lebens am liebsten nicht mehr denken. Ich möchte mich nicht daran erinnern, obwohl ich damals auch lernte, daß ich gewisse Probleme ganz alleine lösen mußte und daß der Mensch in schweren Zeiten in sich selbst eine erstaunliche Durchhaltekraft finden kann. Das Abenteuer meiner ›Fremdheit‹ setzte sich in gewisser Weise dort fort … Es war ein sehr verletzendes Abenteuer … Wieder mußte ich mich bestimmten Realitäten stellen … Selbst die oberflächliche Erinnerung schmerzt den Menschen. Immerhin dauerte dieser Alptraum nur kurze Zeit. Die Gesetze gaben mir nur für kurze Zeit Gelegenheit, mit den Waffen zu leben, die ich nie akzeptieren werde. Als ich zurückkehrte, hatte ich das Gefühl, aus einer ganz anderen Welt zurückzukehren …
Unter diesen Umständen konnte ich mich trotz all meiner Enttäuschungen und Träume immerhin leichter an den Laden und die Geschäftswelt anpassen. Mit der Zeit gelang es mir sogar, dort mit meiner Andersartigkeit nicht mehr aufzufallen. Durch Zusehen lernte ich sogar, ein guter tavla -Spieler zu werden, und ich lernte, verschiedene Menschen zu spielen, für den Bankdirektor einen anderen als für einen Lastenträger oder einen Ladenbesitzer. Noch entscheidender war, daß es mir gelang, den Laden, in dem ich einstmals nur ein Besucher und in vieler Hinsicht ein Fremder gewesen war, seinen Regeln entsprechend zu leiten, so daß ich das Geschäft in einer Weise entwickelte, daß ich mich manchmal selbst nicht wiedererkannte … Schließlich blieb keine Spur mehr von dem einst einfachen, altmodischen Laden. Genauso wie von den Waren, die immer weniger den Bedürfnissen der Zeit entsprachen … Wir importieren jetzt Essenzen für Industrieunternehmen. Ich allein bin der Inhaber und Leiter des Geschäfts. Denn mein Vater ist vor langen Jahren unerwartet am Tisch sitzend an einem Herzinfarkt gestorben.
An jenem Tag habe ich nicht geweint. Wir mußten den Toten sowieso in aller Eile beerdigen. Es war ein Donnerstag. Die Zeremonien mußten unbedingt am nächsten Morgen stattfinden. Denn am Freitagnachmittag wären wir in den Beginn des Schabbath hineingeraten. Freilich hätten wir bis zum Sonntag warten können. Doch meine Mutter bestand aus irgendeinem Grund darauf, die Sache sofort zu Ende zu führen. Mein Vater mußte in der Erde an seiner letzten Ruhestätte Frieden finden. Ich vermute, ihre Worte hatten weder mit dem Glauben noch mit der Tradition zu tun. Wahrscheinlich war sie völlig durcheinander, weil sie diesen Tod nicht aushalten konnte … Für mich war es jedoch egal. Ich beobachtete das Geschehen wie ein Zuschauer. Als wäre der zu Beerdigende nicht mein Vater. Ich stand den Ereignissen völlig unbeteiligt, völlig beziehungslos gegenüber. Die Formalitäten waren leichter erledigt, als ich erwartet hatte. Ich trauerte nicht. Ich fühlte nur Bitterkeit. Eine Bitterkeit, die ich mit der Zeit besser verstehen und an einem anderen Platz in meinem Leben einordnen konnte … Vielleicht dachte ich erstmals an meinen eigenen Tod, vielleicht glaubte ich, daß zwischen uns noch eine Rechnung offen war; vielleicht fühlte ich den Schmerz, auch wenn ich nicht zugab, daß ich durch diesen Verlust gezwungen wurde, noch ein wenig erwachsener zu werden. Ich war nun ein Mann ohne Vater … Diese Bitterkeit war schließlich da und wurde mir, ob ich es wollte oder nicht, auf bestimmte Weise spürbar … Die Trauerfeier war trotz der ganzen Hektik und Eile stark besucht. Angesichts dieser Menschenmenge mußte ich zugeben, daß er nach Ansicht vieler Menschen in seinem Umfeld
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