Woelfe der Macht
»Liebes Mädchen mein. Die Dunkelheit soll dein Gefährte sein. Dein vorgesehener Weg soll ...« Mitten in dem vertrauten Sing-Sang hielt sie inne und riss die Augen weit auf. Blut sprudelte aus ihrem Mund, als sie versuchte, weiter zu reden und schließlich sackte nach vorn.
»Ich hab die Teufelshure«, rief einer der fremden Männer. Mit letzter Kraft flüsterte sie Josi zu: »Stell dich Tod!« Dann wurde Camille von dem Mann gepackt und nach draußen gezerrt. Josi wollte ihr nach, sich an ihr festhalten, aber die Angst siegte und sie tat, wie ihre Mutter ihr befohlen hatte. Einen Moment später spürte sie die Gegenwart eines anderen Menschen.
»Hier ist noch das Kind.« Sie wurde mit einem Schuh an der Seite angestoßen und ein anderer ritzte ihr mit dem Schwert über das Bein. Es drang nicht tief in ihr Fleisch ein, brannte aber wie Feuer. Sie blieb stumm und reglos liegen. Sie hatte schon schlimmere Verletzungen ertragen müssen.
»Die ist Tod«, kam es aus einer anderen Ecke.
»Lasst sie liegen. In dem Alter sind sie noch nicht unsterblich.« Die Geräusche entfernten sich und Ruhe zog wieder in die kleine Hütte ein. Josi wollte weinen, schreien und um sich treten. Aber sie konnte nicht. Sie durfte sich nicht verraten. Nur so hatte sie die Chance, ihre Mutter wieder zu sehen.
Der Geruch nach brennendem Holz stieg ihr in die Nase und vor der Hütte wurden Jubelschreie laut. Sie schloss die Augen wieder, und als sie nach einem traumlosen Dämmerschlaf erwachte, war es draußen bereits dunkel. Nachdem sie keinerlei Geräusche vernahm, rappelte sie sich auf und verlies die kleine Holzhütte.
Vor ihr war ein großer Haufen, der noch immer brannte und eine angenehme Wärme verbreitete. Josi schluckte. Mehrere verkohlte Leichen lagen darauf und es stank furchtbar nach verbranntem Fleisch. Rechts neben der Hütte waren mannshohe Holzpfähle in die Erde geschlagen. Darauf waren abgetrennte Köpfe. Auch der ihrer Mutter. Die braunen Haare waren verfilzt und blutgetränkt, die Augen standen offen und starrten ins Nichts.
Josi begann zu weinen, drehte sich um und wollte in das Dorf laufen, um bei Marianne Schutz zu suchen. Da prallte sie gegen jemanden und wurde am Oberarm festgehalten.
»Schau her. Wen haben wir denn da?«
Michail sah den fahrenden Händler abschätzend an, der ihm ein kleines, schmutziges Mädchen anbot. Sie war nicht älter als fünf oder sechs und wegen ihrer schwarzen Haare konnte er ihr Gesicht nicht sehen. Aber das war ihm auch eigentlich egal.
»Wieso sollte ich ein Kind kaufen? Hier laufen schon mehr als genug Bastarde herum.« Das Mädchen, das anscheinend nicht viel von der russischen Sprache verstand, sah auf und blickte ihm tief in die Augen. Er erstarrte. Diese schwarzen Augen waren wie die tiefe, dunkle Nacht. Als würden sie ihn magisch anziehen.
»Ja, die Kleine ist eine hässliche Missgeburt, aber man kann sie ohne schlechtes Gewissen in ein paar Jahren als Bettwärmer benutzen. Und wenn sie euch nicht mehr gefällt, können sich sicher die anderen Männer der Burg an ihr erfreuen.«
»Wie viel willst du für sie?« Der Händler war über die rasche Meinungsänderung verwirrt und sah das plötzliche Interesse in den Augen seines Gegenübers. Er nannte den Preis und Michail gab ihm das Geld ohne ein weiteres Wort. Dann zog er das Mädchen auf die Beine und zerrte sie in die Burg. Diese Augen mussten etwas bedeuten. Und er spürte eine gewisse Aura um sie herum. Nur benennen konnte er es nicht.
»Tanija, wo steckst du, alte Hexe?« Er stieg die Treppen zum Kerker hinab, wo die alte ihr Lager aufgeschlagen hatte und achtete nicht darauf, dass die Kleine nicht hinterher kam. Tanija, eine kleine füllige Frau mit roten Haaren, kam aus einem Seitengang hervor und verbeugte sich tief vor Michail. Sie war zwar hässlich wie die Nacht, aber sie respektierte ihn und brachte ihm die nötige Achtung entgegen. Außerdem brauchte er eine Hexe. Sie konnten in einem Revierkampf wahre Wunder wirken.
»Wie kann ich dir helfen, Herr?« Er schubste ihr das Mädchen entgegen und die Hexe packte deren Arm. Sie versuchte es zu verbergen, aber einen kurzen Augenblick lang weiteten sich ihre Augen. Sie hatte es ebenfalls gespürt.
»Was soll ich mit dem Kind?« Michail deutete auf ihr Gesicht.
»Schau dir ihre Augen an und sag mir, was das bedeutet.« Die Hexe packte die Kleine mit der anderen Hand am Kiefer und hob deren dreckiges Gesicht empor. Dieses Mal zog sie vernehmlich Luft ein und
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