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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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großartigen Institution aus der ehemaligen Sowjetunion, die auf jede Frage eine Antwort wusste – und zwar eine Antwort, die immer mit dem Wortlaut »Im Prinzip Ja …« anfing. Wir fragen also zum Beispiel:
Ist es richtig, dass der Neid ein Affekt ist, der uns erfasst, wenn wir beobachten müssen, dass jemand Anderer etwas Großes, Schönes, Bedeutendes besitzt, das wir selbst gerne hätten?
    Radio Eriwan würde natürlich erwidern: »Im Prinzip Ja.« Und dann würde es fortfahren: »Aber erstens geht es beim Neid nicht um etwas Großes, Schönes, Bedeutendes. Zweitens geht es nicht darum, dass wir es bekommen, sondern darum, dass der Andere es nicht hat, und drittens wollen wir selbst es gar nicht haben.« Wenn Radio Eriwan darüber hinaus so freundlich wäre, seine Antwort zu erläutern, dann würden diese Erläuterungen etwa wie folgt lauten:
    1 . Die feinen Unterschiede
    Erstens: Es geht beim Neid nicht um etwas Großes, Schönes, Bedeutendes, sondern um eine minimale Differenz.
 – Um das zu verstehen, nehmen wir zum Beispiel an, ich besitze einen neuen VW Golf. Ich würde damit zum oberen Segment der gegenwärtig zunehmend verarmenden Mittelschichten der westlichen Welt gehören, für die dieses Auto, nach Werksauskunft, eigentlich bereits zu teuer ist. Schon dies wäre vielleicht bereits eine besonders günstige soziologische Voraussetzung für die Entstehung von Neid. Wenn er bei mir entsteht, dann werde ich aber jedenfalls nicht jemanden beneiden, der zum Beispiel einen Rolls Royce besitzt. Vielmehr wird mein Neid jemanden treffen, der wie ich auch einen neuen VW Golf besitzt – aber vielleicht einen, der eine etwas hübschere Farbe hat als der meine.
    Was mich reizt, wäre die kleine Abweichung gegenüber dem, was ich habe. Sigmund Freud hat das in seiner Schrift »Massenpsychologie und Ich-Analyse« erkannt und wie folgt erklärt:
    »In den unverhüllt hervortretenden Abneigungen und Abstoßungen gegen nahestehende Fremde können wir den Ausdruck einer Selbstliebe, eines Narzißmus, erkennen, der seine Selbstbehauptung anstrebt und sich so benimmt, als ob das Vorkommen einer Abweichung von seinen individuellen Ausbildungen eine Kritik derselben und eine Aufforderung, sie umzugestalten, mit sich brächte.«
(Freud [ 1921  c]: 96 )
    Die treibende Kraft bei diesem Hass auf den Anderen, der mir ähnlich ist, bezeichnet Freud an anderer Stelle als »Narzißmus der kleinen Differenzen« (Freud [ 1930  a]: 243 ): darum belächeln Engländer am liebsten Schotten, Franzosen Belgier, Österreicher Deutsche etc.
    Nicht der ganz Andere, etwa der viel Reichere wird somit von mir beneidet, sondern, wie Francis Bacon und Aristoteles bemerkten, [101] der Nachbar, der Verwandte oder der Berufskollege – also derjenige, der in einer ähnlichen, vielleicht ebenfalls von Mittelschichtsverarmung bedrohten Situation lebt wie ich. Darum ist eine der typischen Situationen des Neids, wie Jacques Lacan unter Verweis auf Augustinus betonte, der böse Blick auf den Bruder, den man an der Brust der Mutter saugen sieht (s. Lacan 1980 : 121 ).
    Der Neid ist demnach nicht nur ein Phänomen der Nähe, sondern auch etwas zutiefst Optisches – ein »böser Blick« (s. Freud [ 1919  h]: 262 f.), ein »Giftauge« (Nietzsche [ 1887 ]: 230 ), oder, wie Bacon schreibt, »an ejaculation or irridiation of the eye« (Bacon 1985 : 24 ). Dieser Blick wird gefürchtet, weil er die gute Sache, deren man sich erfreut, in eine schlechte, ja geradezu in Gift verwandeln kann. [102] Dem neidischen Blick scheint somit eine magische Kraft zu eignen. Als etwas Magisches kann der Neid, wie Bacon vermutet, auch nur mit Hilfe magischer Mittel geheilt werden (Bacon 1985 : 27 ). In einer moderneren, uns vertrauteren Sprache könnten wir sagen: Nur durch symbolisches Handeln, wie zum Beispiel im Psychodrama, in dem es bezeichnenderweise oft um Probleme des Neids bzw. der »psychodramatischen Gerechtigkeit« geht, ist dem Neid therapeutisch beizukommen (s. dazu Yablonsky 1998 : 85 ).
    Als die Menschen sich noch den Göttern verwandt oder ähnlich fühlten, fürchteten sie aufgrund dieser Nähe deren Neid. Wenn sie irgendeine Sache besaßen oder ihnen ein Glück widerfuhr, das in ihren Augen geeignet schien, den Neid der Götter hervorzurufen, spuckten sich die alten Römer darum sofort auf die eigene Brust (s. Nusser 1984 : 698 ) – eine Geste, welche die Urszene des Neides, die Szene vom saugenden Bruder an der Mutterbrust, in auffälliger

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