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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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im Wasser schwimmende Luftmatratze zu springen und darauf stehenzubleiben – dienten Rindt offenbar dazu, sich die Tatsache zu verdeutlichen, dass er lebte; ähnlich, wie andere es sich auf weniger waghalsige Weise durch kleine Alltagsunterbrechungen wie etwa das Brecht’sche »Theetrinken« vergegenwärtigen. An diesem Beispiel lässt sich auch deutlich erkennen, worin der Unterschied zwischen den Gründen des Lebens und seinem etwaigen Sinn besteht: Die Gründe sind etwas verschwindend Kleines – jene Lächerlichkeiten, die imstande sind, uns die Gewissheit zu verschaffen, dass wir leben. Auch für diese Gründe mag es mitunter notwendig sein, das Leben zu geben. Etwas ganz anderes ist die Frage, für welche Idee oder Sache man dazu bereit wäre. Ohne die erste, durch die Gründe bestimmte Haltung aber gerät diese zweite Frage schnell zum lebensfeindlichen Ressentiment: Man beginnt dann nach einer Sache zu suchen, die kostbar genug wäre, gegen das Leben eingetauscht zu werden, und die diesem dadurch einen Wert verschaffen könnte – als ob das Leben eine solche Tauschwertgebung nötig hätte. Erfrischend gegen eine solche Haltung gedacht ist die Bemerkung Montaignes, wonach es keine Idee gibt, die zu dumm wäre, um mit dem eigenen Leben verteidigt werden zu können (s. Montaigne 2006 : 23 ).
    Anders als bei den meisten heutigen, glanzlos strebsam anmutenden Rennfahrern gewinnt man bei Jochen Rindt darum den Eindruck, dass er vor allem aus Lebensfreude schnell war. Man sollte die Aufnahmen von Rindt den Kindern in der Schule zeigen – sie könnten davon etwas über die Haltung zum Leben lernen. Es würde ihnen vielleicht helfen, nicht zu solchen zimperlichen, reaktionären Weicheiern zu werden wie wir, die oft schon beim Anblick einer Zigarette in die Hosen machen.
    Der Glamour, der uns heute an den Bildern Jochen Rindts besticht, ist der Glanz einer Haltung, die das Leben nicht als profanes Haushaltsgut, sondern als Gabe begriff. [168] In vollen Zügen leben und dementsprechend das Leben als Gabe begreifen heißt eben, diese Gabe nicht in ein kleinliches Haushalten der Bewahrung um jeden Preis zu überführen. Hier zeigt sich eine eigentümliche Dialektik – ähnlich wie bei der Freundschaft: denn auch in diesem Feld betrachten wir nur denjenigen als einen wirklichen Freund, der bereit ist, die Freundschaft zu uns aufs Spiel zu setzen, die Harmonie zu opfern, uns beim Kragen zu nehmen und mit uns harte Worte zu sprechen, falls es nötig sein sollte. Auch für Leben und Freundschaft gelten die Gesetze der notwendigen Verdoppelung (s. oben, Kap.  10 ).
    8 .
    Daraus wird schnell klar, weshalb der Glamour, um den wir die späten 60 er und frühen 70 er Jahre beneiden, uns heute nicht zugänglich ist. Denn unsere Epoche tut alles andere, als das Leben zu lieben. Entgegen ihrer trügerischen Selbsteinschätzung als Kultur des postmodernen, pluralistischen Hedonismus (die Slavoj Žižek und Peter Sloterdijk in ihren jeweiligen Kritiken vielleicht zu schnell übernommen haben; s. Žižek 2004 ; Sloterdijk 2006 ), müssen wir uns die profunde Lust- und Lebensfeindlichkeit dieser aktuellen Kultur vor Augen halten. Hierfür hat Žižek selbst brillante Beispiele geliefert: Ist dies nicht eine Kultur des totalen »Non-ism«, worin man ständig sozusagen Dinge ohne Ding bekommt wie Kaffee ohne Koffein, Bier ohne Alkohol, Cola ohne Kalorien, Schlagobers ohne Fett, Sex ohne Körperkontakt, Religion ohne Leidenschaft, Kriege ohne (eigene) Verluste (oder sogar perverse Mäuse ohne Zähne) etc. (s. Žižek 1992 , 2004 , 2004  a)?
    Die für unsere Zeit charakteristische totale Besorgtheit um Leben und Gesundheit zeigt uns genau die andere Seite der zuvor genannten Dialektik: ein Leben, welches das Leben nicht riskieren will, beginnt unweigerlich dem Tod zu gleichen. Hegel hätte gesagt: Diese maßlose Furcht vor der Beschädigung des Lebens ist die maßlose Beschädigung selbst.
    9 .
    Da unsere postmoderne Kultur also sich ihren Zugang zu Glamour und Großzügigkeit versperrt – bedeutet das zugleich, dass wir auch die Verschwendung vermeiden, dass wir nicht verausgaben? Sind wir Vertreter einer Kultur der Sparsamkeit, die auf ihre entscheidende anti-ökonomische Aufgabe im Sinne Batailles, die Handhabung der Überschüsse, vergisst?
    An diesem Punkt zeigt sich der Unterschied einer an Bataille orientierten Position gegenüber den meisten Formen von Kritik an zeitgenössischem Effizienzfieber und an neoliberaler

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