Vorsicht, Herzalarm! (German Edition)
1. KAPITEL
Patsch. Patsch. Patsch.
Julia Caldwell lauschte dem vertrauten Geräusch eines Balles, der auf das Mittelpolster eines Baseballhandschuhs traf. Dieses Echo, das in den Gängen des Korridors widerhallte, gehörte mittlerweile ebenso zum Alltag wie das Piepen der Monitore auf der Schwesternstation im „Caridad del Cobre“-Kinderkrankenhaus von Miami. Seit dem letzten Monat gehörte die Cortez-Familie, bestehend aus der Mutter und ihren vierzehnjährigen Zwillingssöhnen, quasi zum Inventar der Klinik. Mit seiner Baseballleidenschaft lieferte Michael Cortez eine willkommene Abwechslung von Krankheit und Schmerz.
Michael und sein Bruder waren Zwillinge, die sich sehr ähnlich waren – bis auf einen grausamen genetischen Unterschied. Manny litt an Leukämie. Michael nicht. Manny hatte die Mutter Tag und Nacht an seiner Seite. Michael nicht.
Als das gesunde Kind einer alleinerziehenden Mutter blieb Michael Cortez nur der Baseball als Trost. Weder von den Schwestern oder Ärzten noch von den anderen Patienten und Eltern würde ihn jemals jemand darum bitten, mit dem sich wiederholenden Geräusch aufzuhören.
Jeden Nachmittag kam Michael von der Schule ins Krankenhaus und hielt sich entweder im Zimmer seines Bruders oder in der Familienlounge auf. Weil er seiner Mutter nicht zur Last fallen wollte, erledigte er seine Hausaufgaben, ohne daran erinnert werden zu müssen. Er brachte seiner Mom Kaffee und wandte sich dann der tröstlichen Beschäftigung zu, den Ball wieder und wieder in den Handschuh zu werfen.
Patsch. Patsch. Patsch.
In ihrem kleinen Büro neben der Schwesternstation füllte Julia das Formular für die „Andre Sobel River of Life Foundation“ aus. Da sie die zuständige Sozialarbeiterin der Kinderstation des Caridad del Cobre war, hatte Julia bereits Kontakt mit dem verantwortlichen Sachbearbeiter bei ASRL aufgenommen, und die Stiftung erwartete nun den Antrag. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden würde ASRL einen Scheck an den Vermieter von Anna Cortez schicken, außerdem an ihren Stromanbieter und ihre Telefongesellschaft. Während Anna an Mannys Bett saß, um mit ihm um sein Leben zu kämpfen, würde für die Wohnungsmiete und all die anderen existenziellen Ausgaben gesorgt werden. Ihren Job hatte Anna bereits verloren, weil – wie jeder in der Klinik nur zu gut wusste – die Krankheit eines Kindes keinen Platz für anderes ließ. Das Motto der „Andre Sobel River of Life Foundation“ lautete: Hilfe kann nicht warten.
Dementsprechend trat die Stiftung immer sofort in Aktion.
Bevor Julia den Antrag auf Unterstützung durchfaxte, sagte sie ihr übliches Dankesgebet an die Menschen bei ASRL. Dankbar erinnerte sie sich, wie sie vor fast zwei Jahren Kontakt zu der Stiftung aufgenommen hatte. Damals war es um eine Single-Mutter und ihre Teenagertochter gegangen, die an einem Gehirntumor litt. Seitdem bat das Caridad del Cobre die „Andre Sobel River of Life Foundation“ immer wieder um Beistand für Familien, die den Anforderungen entsprachen – alleinerziehende Eltern, die bei ihren kranken Kindern sein wollten.
Julia lehnte sich gegen die Wand und seufzte. Doch wer kümmert sich um die Bedürfnisse von Michael Cortez, dem gesunden Kind?
Patsch. Patsch. Patsch.
Sie lauschte dem Klang, der ihr ebenso vertraut war wie die Nummer 22 auf dem Trikot des vierzehnjährigen Jungen. Die Nummer 22 gehörte Kyle Hansen, dem Starpitcher der Miami Suns. Das erst vor drei Jahren gegründete Team der Stadthatte es in der letzten Saison bis in die Play-offs geschafft. Kyle war ihr Millionen-Dollar-Star, ihr Vorzeigespieler und Teamcaptain.
Außerdem war er Julias Highschool-Schwarm und ihre erste große Liebe gewesen – ehe die Wechselfälle des Lebens dazwischenkamen. Das laute Piepen des Faxgeräts signalisierte, dass ihr Formular übermittelt worden war. Sie schob die Gedanken an die Vergangenheit beiseite und machte sich auf den Weg zu Anna Cortez, damit sie ihr die gute Botschaft mitteilen konnte, dass für alles Notwendige gesorgt werde.
Patsch. Patsch. Patsch.
Angezogen von dem Geräusch, stoppte Julia bei der Familienlounge und schaute zu dem dunkelhaarigen Jungen, der dort allein im Raum saß und den Ball immer wieder rhythmisch in seinen Handschuh warf.
„Hallo Michael.“
„Hey.“ Er wandte seinen Blick nicht von dem Ball ab. Mit hartem Training und einem Schutzengel konnten seine Leidenschaft und Konzentration ihn weit bringen.
So wie bei seinem Idol.
„Um wie viel Uhr
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