Wofür stehst Du?
ebenfalls für einen Verbrecher hielten. Erst als Saviano häufiger im Fernsehen gezeigt wurde, begannen sie, ihn zu grüßen.
Am häufigsten aber wird er in Kasernen der Carabinieri untergebracht – ein trostloses Versteckspiel. In Neapel teilt er sich ein Zimmer mit einem Carabiniere, der immerhin noch ein Original ist, der wohl einzige Polizist Süditaliens, der sich als Kommunist bekennt: Stolz trägt er Che Guevara als Tattoo auf seiner Brust. Meist sind Savianos Zimmergenossen oder Gesprächspartner jedoch Carabinieri, die noch jünger sind als er, nie ein Buch gelesen haben und oft nicht einmal wissen, mit wem sie es zu tun haben. Weil Personenschützer in Italien neuerdings nur noch geringe Feiertagszuschüsse erhalten, versucht Saviano seine Leibwächter am Wochenende zu schonen; er bleibt dann den ganzen Tag über in der Kaserne.
Was bedeutet so ein Leben? Man muss nur einmal darüber nachdenken, dass ein junger Mann wie Saviano natürlich gerne eine Partnerin hätte, sich in eine Frau verlieben möchte. Doch für diesen Mann ist es nahezu unmöglich, mit einer Frau zusammenzuleben.
»Ich möchte eine Familie gründen«, sagt Roberto Saviano, »das ist der höchste Wert in meinem Leben, auch wenn manche Schriftstellerkollegen das für spießig halten. Aber finde mal jemanden, der bereit ist, mit dir ein Leben unter ständiger Todesdrohung zu teilen.«
Schwer zu sagen, ob Roberto Saviano über all diese Erfahrungen besonders schnell gereift ist oder ob er schon immer ein besonders besonnener und auch strategisch denkender Mensch gewesen ist. Es fällt aber auf, wie klar er seine eigene Lage analysiert. Er weiß, dassetwas anderes ihn womöglich besser schützt als seine Bodyguards, von deren Kollegen sich die Mafia bei den Anschlägen auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino kein bisschen beeindrucken ließ: Sie sprengte diese Männer einfach mit in die Luft. Saviano ist inzwischen zu einer Ikone im Kampf gegen die Mafia geworden. Ein Mordanschlag auf ihn würde weltweit Aufsehen erregen und vermutlich eine geballte Offensive gegen die Camorra auslösen. Dieses Risiko, auch das geht aus abgehörten Telefongesprächen hervor, meiden die Camorra-Clans – jedenfalls noch. »Es wird Situationen geben, in denen ich angreifbarer sein werde, weil man mich weniger beachtet«, sagte Saviano schon vor Jahren. Die Öffentlichkeit ist also vorerst seine Lebensversicherung. Aber die Camorristi und ihre Handlanger in Politik und Medien wissen, wie man an der Ikone kratzen kann.
Schon bald nach Erscheinen von Gomorrha prangten in Casal di Principe an einigen Mauern Schmähungen gegen Saviano, die wie ein Bazillus übergriffen, zunächst auf die Gespräche der Leute, dann auf manche Journalisten und ihre Artikel: Er sei ein Mann, der sich auf Kosten der Menschen in seiner Heimat aufspiele und damit reich werde. Protagonismo heißt das giftige Wort. Es sind nicht nur die Jünger der Mafia, die Todesdrohungen an die Mauern schmieren, nicht nur die Extremisten, die im Internet ihren Hass gegen den Autor zum Ausdruck bringen und sich nicht scheuen, ihren vollen Namen zu nennen. Der Musiker Daniele Sepe hat es mit einem Rap gegen Saviano in die Charts geschafft. (Es gibt tatsächlich ein Internetforum mitder Überschrift: »Für die, die der Camorra helfen wollen, Saviano umzubringen«.) Saviano stößt auch bei Italienern auf Ablehnung, die nicht solch elende Kanaillen sind, aber besser mit der Täuschung zu leben glauben, dass der Kampf gegen die Kriminalität bloß eine Handvoll Polizisten und ein paar Richter betreffe, die allein damit fertigwerden müssten. Der neapolitanische Fußballspieler Marco Borriello, bei Berlusconis AC Mailand unter Vertrag, warf Saviano Nestbeschmutzung vor.
In dieser Situation wäre jede Schwäche, die Saviano zeigen würde, gerechtfertigt. Man würde verstehen, wenn er einfach alles hinschmisse und erklärte, dass er seinen Beitrag im Kampf gegen die Mafia geleistet hat, dass er fortan nur noch historische Biografien schreiben oder mit kampanischer Büffelmozzarella handeln wolle. Man würde verstehen, wenn er Italien verließe und unter falschem Namen ein neues Leben begänne. Er hat es sich mehrmals überlegt, aber er ist geblieben.
Er prangert weiter die Verschleppung von Ermittlungen gegen die Camorra an. Er zeigt die Verstrickungen mit der Politik auf. Er klagt die Ermordung unschuldiger afrikanischer Tagelöhner durch Mafiakiller an. Was ihm dabei besondere Autorität verleiht,
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