Wofür stehst Du?
ist die Tatsache, dass er es bislang abgelehnt hat, sich auf die Seite einer politischen Partei zu schlagen – auch nicht auf die Seite jener, die ihn gern als Abgeordneten ins Parlament geschickt hätten. »Das kann ich nicht«, sagt er, »schon allein deswegen nicht, weil zwar die Rechte und Berlusconi die größeren Sympathien bei der sizilianischenMafia haben, es aber in Kampanien oft die linken Stadtverwaltungen sind, die von der Camorra durchdrungen werden.« Diese Haltung hat seine Gefährdung noch einmal erhöht.
Im April 2010 griff kein Geringerer als Ministerpräsident Silvio Berlusconi Saviano frontal an: Obwohl die Mafia längst nicht die größte kriminelle Organisation sei, sei sie weltweit die bekannteste, und zwar »dank der Werbung, die sie durch Fernsehserien und Bücher wie Gomorrha erfährt«. Das werfe ein schlechtes Bild auf Italien. Saviano hat Berlusconi postwendend in einem offenen Brief in der Zeitung la Repubblica Paroli geboten, aber die Wirkung hätte verheerender nicht sein können: »Was sollen die Polizisten jetzt denken, die mich beschützen sollen?«, fragt er (und es ist keine Klage in diesem Satz zu hören). »Und was die Leute, die mich bedrohen?« Was er nicht sagt, ist: Berlusconis Worte könnten wie das Signal wirken, dass Savianos Sicherheit dem italienischen Staat nicht mehr so wichtig ist.
Nun also muss Saviano der Camorra und dem Regierungschef in Italien trotzen. Aber er macht weiter, und man fragt sich, woher er diesen Heldenmut nimmt, eine Frage, die ihn sofort in Abwehrhaltung bringt: »Die Beschreibung als Held ist für mich etwas ganz Furchtbares, eine zusätzliche Verurteilung«, sagt er.
Aber was hat ihm die Kraft gegeben standzuhalten, warum hat er nicht gezögert, als sich für ihn die Frage stellte: Wofür stehst du?
Saviano sagt, er sei in diese Situation geraten, weil er aus Mangel an Erfahrung unfähig gewesen sei, sich vorzustellen, was auf ihn zukommen würde. Jetzt, da er es könne, wolle er nicht jene im Stich lassen, die so leben müssten wie er: einige Richter und Staatsanwälte, ein paar Ermittler, vor allem die Kronzeugen aufseiten der Opfer. Sie seien auch für ihn ganz besondere Menschen: keine Helden, aber oft Vorbilder, weil sie manche Lebenssituationen schon durchgestanden hätten, die er nun selbst kennenlerne. »Insofern«, sagt er, »sind sie beispielhaft für mich. Aber eben nur auf einem Gebiet – und das auch nur für eine bestimmte Zeit.«
So angespannt ist die Lage, dass Roberto Saviano, der schon lange darauf verzichtet, Urlaub in Italien zu machen, nicht einmal mehr in die Stadt fährt, um ein Eis zu essen. Als er das zuletzt tat, fand es sogleich Erwähnung in einer Zeitung, die zufällig der Familie Berlusconi gehört. Es stand nicht explizit im Text, aber der Unterton war klar: Da prangert einer effektvoll die angeblich großen Missstände in Italien an – und lässt es sich selbst gut gehen. Wohlgemerkt: Roberto Saviano hatte sich an einem schönen Frühlingstag ein Eis genehmigt.
Als halber Italiener, der ich nun einmal bin, schäme ich mich dafür, dass es in Westeuropa ein Land gibt, in dem ein Schriftsteller im 21. Jahrhundert um sein Leben bangen muss, weil er mit seiner Feder auf Verbrecher zielt. Wie kann es sein, dass in einer Region Kerneuropas Kriminelle stärker sind als der Staat, der sie verfolgen müsste? Ich appelliere auch an die Deutschen, dass sie durch ihr Interesse und ihre Anteilnahmehelfen mögen, einen Schutzring um ihn zu bilden.
Denn wir können vielleicht auf Helden verzichten, aber nicht auf Vorbilder wie Roberto Saviano.
Bei der Arbeit an diesem Buch haben uns einige Menschen sehr geholfen, denen wir an dieser Stelle danken möchten, nämlich Maxim Biller, Frank Drieschner, Benedikt Erenz, Alexander Fest, Antje Hier beginnt - Das Buch -Kunstmann, Helge Malchow, Georg Mascolo, Ursula Mauder, Dieter Reithmeier, Susanne Schneider, Sabrina Staubitz, Sybille Terrahe, Chaia Trezib, Bernd Ulrich, Anne Weyerer, Dominik Wichmann und Marcus Wyrwol. Und vor allem Jan Patjens.
Das Buch
Wofür stehst Du? Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit
Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke haben zusammen ein ungewöhnliches Buch geschrieben: Sie stellen die große Frage nach den Werten, die für sie maßgeblich sind – oder sein sollten.
Zwei Freunde, nahezu gleichaltrig, stellen fest, dass sie sich in Jahrzehnten über vieles Private ausgetauscht haben, Leidenschaften, Ehen und Trennungen, Erfolge, Ängste und
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