Wofür stehst Du?
Fehler. Und ich habe auch das Recht dazu.« Helden sind Gefangene unserer Projektionen, dazu verurteilt, immer hilfreich, edel und gut zu sein.
Dabei bin ich ganz besonders versucht, Roberto Saviano Heldenverehrung entgegenzubringen. Er wirkt sehr ernst, ein zurückhaltender junger Mann mit Stoppelhaaren, Bart und schüchternem Lächeln. Franziskanerpatres sehen manchmal so aus. Was er auf sich genommen hat, erscheint mir übermenschlich, schon seines Alters wegen: Während ich diese Zeilen schreibe, ist er gerade einmal 30 Jahre alt.
Ich musste zuletzt auch deshalb an ihn denken, weil mir ein Beispiel aus meinem Arbeitsalltag vor Augen geführt hat, wie schnell wir selbst es mit der Angst zu tun bekommen: Meine Redaktion will ein Dossier über die merkwürdigen geschäftlichen Beziehungen eines deutschen Rappers recherchieren. Schon mehrere Reporter haben nach ersten Gesprächen im Umfeld des Sängers, aber auch mit Ermittlern bei der Polizei und in der Justiz den Auftrag wieder zurückgegeben, aus nachvollziehbarem Grund – der Clan, der den Rapper angeblich beschützt, könnte selbst für Journalisten gefährlich werden. Das geschieht in der Hauptstadt eines Landes wie Deutschland, das als eines der sichersten in der Welt gilt. Roberto Saviano wäre wahrscheinlich sehr erleichtert, wenn er nur mit dem Milieu eines deutschen Popstars zu kämpfen hätte. Die Prüfung, die ihm auferlegt wurde, kann ihn das Leben kosten.
Es begann damit, dass er im Jahr 2006 ein Buch über die kampanische Spielart der Mafia veröffentlichte, die Camorra. Dass es sich millionenfach verkaufen würde, hat ihn selbst am meisten überrascht, er hoffte auf ein paar Tausend Exemplare. Es gibt ja Hunderte von Büchern über alle Varianten des organisierten Verbrechens, Dokumentationen und Romane über Opfer und Täter. Es gibt kaum etwas, das von irgendjemandem noch entdeckt werden könnte. Saviano war ein unbekannter freier Autor aus der kampanischen Provinz, niemand unterstützte ihn, Kontakte zu großen Verlagen hatte er nicht. Als ich ihn kennenlernte, hatte er Gomorrha längst veröffentlicht. Er erzählte mir, dass er sich noch kurz vor Erscheinen des Buches meine Telefonnummer von einer gemeinsamen Bekannten besorgt und versucht hatte, mich vom Bahnsteig in München aus anzurufen. Er wollte mich fragen, ob es in Deutschland irgendeinen Verlag gebe, der sich für sein Thema interessieren könnte. Inzwischen hat allein die deutsche Ausgabe mehr als 700 000 Käufer gefunden.
Was ist anders an Savianos Mafia-Buch? Es ist ganz sicher die sprachliche Virtuosität und der Reichtum seiner Bilder. Aber es ist noch mehr der persönliche Zugang, den er zur Beschreibung der Verbrechen gefunden hat. Er ist in einer Hochburg der Camorra aufgewachsen: Jeder in Casal di Principe, auch sein Vater, ein angesehener Arzt, hat unter ihren Machenschaften gelitten und sie gleichzeitig unter dem Mantel der omertà , des Schweigens, versteckt. Saviano nannte in seinem Buch nun plötzlich Taten, Daten und Namen,und das in einer Ballung, wie sie der Öffentlichkeit noch nie vorgelegt worden war. Vor allem aber tat er dies nicht mit der Distanz eines Reporters, der von außerhalb ins Mafialand eingeflogen wird, sondern als jemand, der die Camorra selbst erlebt hat – nicht nur ihre repressive, sondern auch ihre, ja, anziehende Seite. Mafia, das hat Saviano seinem verdutzten Publikum gerade außerhalb Italiens immer wieder zu erklären versucht, ist auch eine Subkultur, die junge Leute wie ihn von einem Gefühl der Ohnmacht befreien kann.
Es war nicht das Buch, das ihn in Lebensgefahr brachte, es war der Erfolg des Buches. Das fanden Polizei und andere Ermittler schnell heraus, als sie Telefongespräche abhörten und Kassiber der Camorristi auswerteten. Der Staat bot ihm Schutz an, und Saviano lieferte sich einem Sicherheitssystem aus, das ihn sehr viel schlechter leben lässt als die meisten Verbrecher, die in Gomorrha beschrieben werden – und die bis heute nicht gefasst worden sind.
Wenn er unterwegs ist, sind mindestens zwei gepanzerte Fahrzeuge im Einsatz. Die Polizisten, die ihn bewachen, ziehen ihre Waffen, sobald sie das Auto verlassen. Für Saviano ist dieses Leben die Hölle. Er hat in einer kargen Hochhauswohnung gelebt, in der zuvor angeblich reuige Mafiosi, mutmaßliche Killer, im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes untergebracht worden waren. Nachdem er dort eingezogen war, würdigten ihn die Nachbarn lange Zeit keines Blickes, weil sie ihn
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