Wohin mit mir
fragte mich der Feuilletonchef des Senders bei der Vorbereitung. Nichts, entgegnete ich, es geht immer um Alltag, um Alltägliches. Mißbehagen und Belehrung von seiner Seite. Man müsse seinen eigenen Text hochreden , nicht runterreden , wie ich es täte. Am Drehort in Weimar dann ein kundiger Regisseur, wir kamen gut aus, seine Zwischentexte sprach er mit mir ab. In der Nacht vor der Ausstrahlung schrieb der Feuilletonchef die Texte komplett neu, es stimmte fast nichts mehr, aber niemand außer dem Regisseur und mir fiel es auf. Als Reaktion auf meinen Beitrag hörte ich von Zuschauern immer wieder, mit wehendem Kleid sei ich durch Goethes Garten gegangen; dieses Bild hatte sich offenbar eingeprägt.
Selbst die wenigen Auftritte und Interviews belasteten mich. Zum einen fehlte mir die Zeit. Zum anderen mochte ich es einfach nicht, dieses Sicherklärenmüssen, den eigenen Text zerreden; stets hatte ich das
Gefühl, Überflüssiges zu sagen. Mein Medium war nicht das Gespräch, das Reden über …, es war der Text selbst, die geschriebene Sprache. Stimmte mein Verleger mir im geheimen zu? Er drängte allein auf Lesungen. Es wurden einunddreißig. Der Intensivsprachkurs Italienisch war längst abgesagt. Mit Kassetten lernte ich in Hotelzimmern und Zügen. Die Orte der Lesungen: Im Januar las ich in Stuttgart und Freudenstadt im Schwarzwald, im Februar in Berlin-Dahlem. Im März und April dann eine dichte Terminfolge. Die Reiseroute habe ich noch im Kopf. Am 6. März Hofgeismar, vom 16. bis 27. März Münster, Hannover, Essen, Weimar, Osnabrück, Bremen, Lemgo, Lübeck, Gotha, Leipzig, Sondershausen, Wiesbaden, Butzbach. Dann kamen die Ostertage, die ich in Berlin verbrachte. Am Karfreitag – davon habe ich schon erzählt – der Entschluß zum neuen Buch. Am 9. April Tutzing am Starnberger See, am 12. Meißen, dann Greiz, Neubrandenburg, Neuruppin, Rostock, Ulm, Gräfelfing, Nürnberg, Karlsruhe, Fellbach, Bad Nauheim, Frankfurt, Koblenz, Ingelheim, Bonn und schließlich Wertheim in Franken.
Bisher war ich gewohnt, daß die Reiseroute vor den Zusagen mit mir abgesprochen wurde und zudem den geografischen Gegebenheiten folgte. Nun war die sorgsame Gisela Mörler in Rente gegangen und eine auf Zeit eingestellte junge Frau übernahm die Organisation. Glaubte sie, ich fliege auf einem Teppich von Ort zu Ort? Sie konnte kaum auf die Landkarte gesehen haben; auch die Verkehrsverbindungen, vor allem in den neuen Bundesländern, hatte sie nicht bedacht. Als
ich sie anrief, verteidigte sie sich burschikos, witzigerweise mit dem Argument, welche unbekannten Städte ich alle sehen könne: Rostock, Leipzig, Neubrandenburg. Später entschuldigte sie sich kleinlaut. Aber die Zusagen waren schon gegeben. Da ich nicht wollte, daß ein Donnerwetter meines Verlegers sie traf, blieb mir nichts anderes übrig, ich fuhr im Zick-Zack – von Rostock nach Ulm, von Sondershausen nach Wiesbaden, von Lübeck nach Gotha, von Essen nach Weimar, von Greiz nach Neubrandenburg.
Zuweilen kam ich erst eineinhalb Stunden vor der Lesung an. Keine Zeit für Sitz- und Mikroprobe ohne Publikum. Meine Nervosität, die, statt mit den Jahren weniger zu werden, immer stärker wurde. Heftiges Herzklopfen. Angst, mit der Stimme nicht durchzuhalten, kein Wort herauszubringen, der Hals schnürte sich zu. Lampenfieber, beruhigte mich meine Schwiegertochter, die Schauspielerin ist, mußt du haben, es ist gut, sie habe es bis heute vor jeder Vorstellung. Ich klammere mich an ihre Aussage.
Mit dem Lesen der ersten Sätze dann Entspannung. Konzentration auf den Text. Und immer wieder Hochsehen, der Blick ins Publikum. Das Signieren danach. Und Runden mit fremden Menschen, oft viel zu große, und in verrauchten, lauten Gaststätten. Aber auch immer wieder das Glück der Begegnung mit Lesern, manchmal ist es nur ein Danke oder ein Blick oder ein kurzer Wortwechsel während des Signierens.
Die Erinnerung an Räume, in denen die Lesungen 1999 stattfanden. Die Wendelinskapelle in Butzbach, die Alte Handelsbörse in Leipzig, die ich besonders
mag. Die Heinrich-Heine-Bibliothek in der Orangerie in Gotha, wo ich als Dreizehnjährige meine allererste Lesung erlebte – unvergeßlich –, beim gedämpften Schein einer Lampe las Hanns Cibulka Gedichte von Paul Éluard. Der Arkadensaal des Frankfurter Hochstifts, in dem ein Jahr zuvor zur Frankfurter Messe die Buchpremiere mit Siegfried Unseld war. Der Domherrenhof in Meißen, Frau Schollbach, die Buchhändlerin, entsinne
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