Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
Vom Netzwerk:
Davonschwimmen und ihrem schließlichen Verschwinden hinter der Flußbiegung nach.
    Am anderen Morgen wurde ich mit dem Auto nach Würzburg gebracht. Von dort fuhr ich mit dem Zug nach Berlin. Immer wieder sah ich auf die Uhr. Am Abend wollte ich in Magdeburg zur Premiere von Goethes »Die Leiden des jungen Werthers« sein. Joachim hatte das Bühnenbild gemacht. Spätestens gegen vier müssen wir in Berlin losfahren, sagte sein Bruder. Der Zug war pünktlich, ebenso pünktlich stand das Auto vor der Tür. Alles klappte. Das Bühnenbild das Gegenteil einer Wetzlarer Idylle, im Vordergrund ein langer, hölzerner, mit Wasser gefüllter Graben, an dem die Regisseurin Gefallen fand, mehrfach benutzte sie ihn als Spielfläche. Ein gelungener Abend. Noch in der Nacht fuhr ich mit Tobias nach Berlin zurück.
     
    Der Anruf. Die Lektüre Ortega y Gasset. Ist meine Geschäftigkeit nicht fehlende Übereinstimmung mit mir selbst? Ich lasse mich von außen treiben, vom Verlag, den Lesungen, den Journalisten, den Rundfunkleuten, von den Arbeiten, die noch mit dem Goethe-Buch in Zusammenhang stehen, so der Herausgabe des Tagebuches von Christiane. Aber war nicht alles notwendig? Und auch gut? Und habe ich es nicht geschafft. Es ist vorbei. Ich bin hier. Warum noch immer die Laufschritte in meinem Rücken.
    Im Verlag feiern sie den Erfolg des Buches. Mit wem soll ich in der Einsamkeit in Rom feiern? Mit mir selbst.
Freude über den Erfolg kann nur bedeuten: zur Übereinstimmung mit sich zu kommen. Vielleicht bin ich nur erschöpft, ich muß stehenbleiben wie jener Afrikaner es auf seiner Reise tat. Auf die Frage, warum er so oft haltmache, antwortete er, er warte, bis seine Seele nachgekommen sei.
     
    16. Juli
    Gestern die Begegnung auf dem Monte Pincio. Von der Casa di Goethe aus die wenigen Schritte bis zum Ende der Via del Corso, vorbei am Caffè Canova, die von Giuseppe Valadier geschaffene Treppenanlage nach oben. Zweimal muß ich die Via d'Annunzio überqueren, ich tue es an der Haarnadelkurve, die die rasant fahrenden Italiener zur Zurücknahme des Tempos zwingt, laufe dann über die gewundenen Wege einer kleinen Grünanlage, an deren Ende die bemoosten Steintreppen – und ich bin auf dem Monte Pincio.
    Die Aussichtsterrasse ist voller Besucher. Die begehrten vorderen Plätze zum Fotografieren. Rom liegt in der Sonne. Ein weiter Blick. Ich genieße ihn und denke daran, wie mein Großvater mich als Kind auf den Stufen des Erfurter Domes bei jedem Spaziergang aufforderte, die vor uns liegenden Kirchtürme der Stadt zu zählen. Hier wäre es müßig, man würde nie fertig.
    Von den Touristen abstechend, nehme ich ein altes Ehepaar wahr. Die Frau trägt ein helles Seidenkleid. Der Mann im eleganten, grauen Flanellanzug hat ein scharf geschnittenes, interessantes Gesicht und spärliches Haar. Neben ihm lehnen zwei Krücken, ich sehe, er hat nur ein Bein. Die beiden sitzen auf der seitlichen
Steinbank, sie interessiert die Aussicht offenbar kaum, sie scheinen eher die auf das Panorama Blickenden zu beobachten. Vermutlich sind sie von hier, sind Römer.
    Mein Gang durch den Park der Villa Borghese. Nicht zielgerichtet von und zum unterirdischen Parkhaus wie mit dem Sohn. Ich lasse mich treiben, von Weggabelungen verführen oder von Bäumen aufhalten. Zypressen, Magnolien, Zedern, Pinien, Steineichen. Prächtige Exemplare, schattenspendend. Sommerliche Düfte. Und überall Statuen. An einer Mauer entdecke ich eine Frau in königlicher Haltung, ihr Gewand fällt in unnachahmlich schönen, steinernen Falten herab; erst nach einer Zeit nehme ich wahr, sie ist kopflos. Aber ich habe mich schon in sie verliebt.
    Nach eineinhalb Stunden laufe ich über die Viale delle Magnolie und den Piazzale Napoleone I . zum Monte Pincio zurück.
    Der Himmel schimmert rot durch die Bäume, die Sonne ist untergegangen, die Touristen haben sich verlaufen, nur wenige Menschen sind noch auf der Aussichtsterrasse. Darunter das alte Ehepaar. Ich setze mich auf die Steinbank ihnen gegenüber. Die Dämmerung senkt sich. Die letzten Besucher gehen. Ich bin allein mit den beiden. Spüre, sie beobachten mich. Ich sie auch. Dann steht der Mann auf, seine Frau stützt ihn, reicht ihm die Krücken. Er kommt die wenigen Schritte auf mich zu. Aus Deutschland, fragt er. Touristin? Warum allein, das sei für Rom ungewöhnlich. Wann ich angekommen sei, wie lange ich bleiben werde. Ich antworte auf alles. Casa di Goethe, ruft er, be
ginnt von Goethes »Italienischer

Weitere Kostenlose Bücher