Wohin mit mir
Reise« zu schwärmen. Alles auf italienisch, einige Brocken deutsch dazwischen. Er deutet auf seinen Stumpf. Mit der deutschen Armee sei er in den vierziger Jahren nach Afrika gezogen. Generalfeldmarschall Rommel sei sein Oberbefehlshaber gewesen; noch heute könne er kein nachteiliges Wort über ihn äußern. Die Geschichtsbücher sind das eine, das eigene Erleben das andere, sagt er. Von Rommel geht er übergangslos wieder zu Goethe über, zitiert mit theatralischer Geste Mignon-Verse.
Sie seien, wenn das Wetter schön wäre, jeden Abend hier, sagt er, er heiße Fulio, seine Frau sei Anna. Wir geben uns die Hand. Sie würden sich freuen, mich hier wiederzusehen.
Das war gestern. Heute traf ich sie wieder auf dem Monte Pincio. Meine Italienisch-Stunde. Und Freude, daß in der fremden Stadt zwei Menschen auf mich warten.
17. Juli
Am Nachmittag werde ich ans Telefon gerufen. Der Sohn. Er habe sich ein italienisches Fahrrad gekauft. Um mir das zu sagen, wird er nicht zum Hörer greifen. Und, frage ich. Er schweigt. Nach einigem Zögern dann, auf der Rückfahrt von Italien nach Deutschland habe er einen Entschluß gefaßt. Welchen? Er werde seine Wohnung im Hinterhaus aufgeben, ins Vorderhaus ziehen und im Hof zu ebener Erde sich einen Raum für ein Büro mieten. Meine Freude, er macht sich selbständig. Eine gute Nachricht.
Am Abend gieße ich mir Rotwein ein, setze mich,
wie am Ankunftstag mit dem Sohn, auf den winzigen Balkon. Unter mir der unablässig fließende Menschenstrom. Lachen, Stimmengewirr. Junge Mädchen im Pulk. Viele Paare, die sich umschlungen halten. Auch Männer gehen untergehakt. Niemand hastet, niemand eilt. Diese Gelassenheit! Schräg gegenüber, am Tor vor dem Gebäude neben dem Palazzo Rondanini, ein Straßenmusikant, ein alter Mann spielt auf der Geige, eine Melodie ständig wiederholend, stets an derselben Stelle schmerzhaft falsche Töne. Aber seine Mütze, sehe ich, füllt sich. Knatternde Motorinos bahnen sich mit lautem Hupen einen Weg durch die Menge. Ich beobachte, keiner der Fußgänger regt sich darüber auf.
Ich blicke den Corso hinab. Und hinauf, dort, wo er sich zur Piazza del Popolo hin öffnet. Plötzlich verwandeln sich die Häuserschluchten in kantige Berge und die flanierende Menge in einen Gebirgsstrom mit seinem an- und abschwellenden Rauschen.
Noch ein Glas. Später, als ich die Tür hinter mir geschlossen habe, breite ich zwei Wanderkarten von Nordschweden auf dem Fußboden aus, glätte sie und befestige sie vorsichtig mit durchsichtigem Klebeband an den zwei Schränken. An der Wand gegenüber hängt das Panorama der Ewigen Stadt. Ein Nachdruck aus dem 19. Jahrhundert. Zwölf Einzelblätter einer Kupferstichfolge von Giuseppe Vasi von 1765, die zu einer Gesamtansicht von Rom zusammengefügt sind. Die Sehenswürdigkeiten sind mit winzigen Zahlen versehen. Am Sockel des Panoramas befindet sich die Legende. Schon mehrmals bin ich auf mein wackliges Bett, das am Tage zum Sofa mutiert, geklettert, habe nachgele
sen; 390 einzelne Örtlichkeiten und Gebäude werden erklärt.
Jetzt stehe ich mitten im Raum, sehe befriedigt von einer Wandseite zur anderen. Ich muß den Augenblick am Schopf packen. Mich der Stadt einfach ausliefern.
Donnergrollen. Ein Gewitterguß. In Minutenschnelle ist die Via del Corso menschenleer. Die sich in der Toreinfahrt im gegenübergelegenen Palazzo Rondanini drängenden Menschen. Ich öffne die Balkontür, Geruch nach Regen und Staub; erfrischend. Dann geht der laute Platzregen in ein gleichmäßig leises Regentrommeln über. Mein lappländischer Umhang. Ich gehe zum Monte Pincio hinauf. Auch da kaum Menschen. Ich genieße den Regen. Von den Bäumen des Parks der Villa Borghese tropft das Wasser, Rom liegt regenverschleiert unter mir. Glücklich.
Am späten Abend nochmals eine Regenwanderung im fast menschenleeren Park der Villa Borghese.
18. Juli
Am Morgen Sonne. Mein Ziel: das Kolosseum. 1987 habe ich es nur von außen im Vorbeigehen wahrgenommen. Das Amphitheater soll das größte Bauwerk des antiken Rom sein, 72 nach Christus unter Kaiser Vespasian in Angriff genommen. In der nachantiken Zeit diente es über Jahrhunderte als Steinbruch.
Ich steige zur dritten Empore hinauf, setze mich auf die steinernen Stufen. Hier ist noch Schatten. Keine Luftbewegung im gesamten Innenrund des Kolosseums. Weit oben ein Kran, er schwenkt eine Last, ich kann
nicht erkennen, was es ist, ein einziger Arbeiter steht dort und nimmt sie ab. Die
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