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Wolfsblut

Wolfsblut

Titel: Wolfsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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zusammengerollten Stachelkugel, gerade wie er es früher am Tage selber gemacht hatte. War er vorhin nur wie ein Schatten dahingeglitten, so wurde er nun der Geist eines solchen, so behutsam kroch er näher, immer von der Seite gegen den Wind, bis er dicht an das regungslose, schweigende Paar herankam. Er legte das Schneehuhn neben sich in den Schnee und duckte sich nieder. Dann spähte er durch die Zweige einer niedrigen Tanne auf das Drama vor sich, den wartenden Luchs und das ebenfalls wartende Stachelschwein, von denen jedes sich fest an das Leben klammerte. Und das Seltsame an dem Schauspiel war, daß für den einen das Leben darin bestand, den andern zu verspeisen, und für den anderen, nicht verspeist zu werden. So kauerte der alte einäugige Wolf im Verstecke und spielte in dem Drama auch seine Rolle, indem er auf den glücklichen Zufall rechnete, der ihm auf der Jagd nach Beute, die auch für ihn das Leben war, helfen sollte.
    Eine halbe Stunde verstrich, dann noch eine, und nichts ereignete sich. Die stachlige Kugel hätte von Stein sein können, so wenig bewegte sie sich, ebenso wie der Luchs hätte, zu Marmor erstarrt, der alte Einauge tot sein können. Dennoch war das Leben in allen drei Tieren so mächtig, daß es fast wie Schmerz empfunden wurde, und kaum waren sie jemals so voller Leben gewesen wie jetzt in ihrer scheinbaren Leblosigkeit. Einauge machte eine leichte Bewegung und spähte mit erhöhter Spannung.
    Es ging jetzt etwas vor. Das Stachelschwein hatte endlich angenommen, daß der Feind fort sei. Langsam und vorsichtig rollte es den undurchdringlichen Panzer auf. Kein Vorgefühl warnte es. Einauge schaute zu, das Wasser lief ihm im Munde zusammen, der Speichel tropfte herab, so erregt war er durch die lebende Beute, die wie eine Mahlzeit sich vor ihm ausbreitete. Doch bevor das Stachelschwein sich ganz aufgerollt hatte, erblickte es den Feind. Da schlug der Luchs mit Blitzesschnelle zu. Die Pfote mit den ausgestreckten Krallen, die sich wie Fänge krümmten, schoß nach dem weichen Bauche hin, kratzte und zog sich dann rasch zurück. Wäre das Stachelschwein ganz aufgerollt gewesen, oder hätte es den Feind nicht den Bruchteil einer Sekunde vor dem Schlage entdeckt, so wäre die Pfote unverletzt davongekommen, doch bevor sie sich zurückzog, schoß das Stachelschwein durch eine Seitenbewegung des Schwanzes scharfe Stacheln hinein.
    Alles, der Schlag, der Gegenhieb, der Schmerzensschrei des Stachelschweins und das gellende Geheul der erschrockenen Katze bei der plötzlichen Verwundung, all das war fast gleichzeitig gewesen. Einauge hob sich erregt in die Höhe, die Ohren gespitzt, den Schwanz steif und bebend. Der wütende Schmerz der Luchsin ließ sie jede Vorsicht vergessen. Wild sprang sie auf das Geschöpf los, das sie verletzt hatte. Aber das grunzende, quiekende Stachelschwein machte noch mit aufgeschlitztem Leibe den schwachen Versuch, sich zur Kugel zusammenzurollen, und hieb mit dem Schwanz nach der großen Katze, die wiederum vor Schreck und Schmerz zu kreischen begann. Dann zog sie sich prustend zurück, da ihre Nase wie ein großes Stecknadelkissen aussah. Sie fuhr mit den Pfoten darüber, um die brennenden Pfeile zu entfernen, stieß damit in den Schnee und rieb sich an Ästen und Zweigen, indem sie fortwährend vorwärts und seitwärts auf und ab in rasender Angst und im Schmerz umhersprang. Dabei prustete sie immerfort, der kurze Schwanz war in unablässiger Bewegung und peitschte mit kurzen, heftigen Streichen ihre Flanken. Plötzlich gab sie das tolle Herumspringen auf und legte sich ein paar Minuten lang ruhig hin. Einauge beobachtete sie, aber er fuhr mit gesträubtem Haar zurück, als sie auf einmal ohne jede Warnung hoch in die Luft sprang und zu gleicher Zeit einen gellenden Schrei ausstieß. Dann entfernte sie sich in großen Sätzen den Fluß hinauf, wobei sie bei jedem Satze laut aufschrie.
    Erst als der Lärm in der Ferne erstarb, wagte sich Einauge aus dem Versteck heraus. Er trat mit so großer Vorsicht auf, als wäre der Schnee mit Stacheln übersät, die gerade und aufrecht stehend ihm in die weichen Sohlen der Füße hätten dringen können. Das Stachelschwein begrüßte ihn bei der Annäherung mit wütendem Gequiek und schlug drohend die langen Zähne zusammen. Es hatte versucht, sich wieder zur Kugel zusammenzurollen, allein es war ihm nicht ganz gelungen, dazu waren die Muskeln zu sehr zerrissen, und es blutete stark. Einauge leckte den blutbefleckten Schnee

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