Die Rache der Flußgoetter
I
Es war das schlimmste Jahr in der Geschichte Roms. Nun ja, so schlimm war es vielleicht auch wieder nicht. Da gab es beispielsweise noch das Jahr, in dem Hannibal unsere Legionen am Trasimenischen See schlug, und das Jahr, in dem Hannibal unsere Legionen bei Cannae vernichtete. Von Hannibal haben wir eine Menge gelernt. Am schlimmsten war möglicherweise das Jahr, in dem Brennus und seine Gallier die Stadt überrannten, ausplünderten und ein exorbitantes Lösegeld verlangten. Als es ausgewogen wurde und die Konsuln sich darüber beschwerten, daß die Gewichte falsch waren, warf der Gallier sein Schwert in die Waagschale und sagte: »Wehe den Besiegten!« Für einen Gallier sprach er ausgezeichnet Lateinisch. Wir nahmen uns diese Lektion zu Herzen und wendeten sie gegen über jedem, der sich in den folgenden Jahren mit uns anlegte, gnadenlos an.
Doch all diese Dinge waren ja schon vor Jahrhunderten geschehen. Dies jedenfalls war bei weitem das schlimmste Jahr, das die Stadt zu meinen Lebzeiten bisher durchgemacht hatte.
Im Vergleich dazu war das Jahr von Catilinas Verschwörung ein einziger Feiertag.
Auf den Straßen prallten die Banden von Clodius und Milo, Plautius, Hypsaeus und diversen anderen täglich auf einander und randalierten, begünstigt durch einen korrupten Senat, dessen Mitglieder sich kollektiv über das Chaos ereiferten, während sie privat alle die eine oder andere Bande unterstützten. Die politische Situation war derart unübersichtlich, daß sich niemand von einem Tag zum anderen sicher war, wer zur Zeit eigentlich als amtierender Konsul fungierte. Wenn die Feinde Roms hätten sehen können, wie die Dinge in der Stadt standen, hätten sie gestaunt. Und an Feinden mangelte es uns nicht in jenem Jahr. Im Osten führte Crassus einen halbherzigen Feldzug gegen eine Reihe in der Hauptsache harmloser und unschuldiger Nationen, während er Kraft und Schätze für seinen geplanten Krieg gegen die Parther sammelte. Im Norden schien Caesar entschlossen, die gallische Rasse komplett aus zu löschen. Doch damit nicht genug, er unternahm sogar einen Angriff auf die von Nebel und Legenden umhüllte Insel Britannien. Das gemeine Volk pries Caesars Kriegstaten, weil es stets angenehm ist, sich aus großer Entfernung an der Massakrierung von Ausländern zu delektieren. Doch die Reichtümer, die aus Gallien gen Rom flossen, wurden doppelt aufgehoben durch die Horden billiger gallischer Sklaven, die Italien überfluteten, den allgemeinen Preissturz beschleunigten und die wenigen verbliebenen süditalienischen Bauern von ihrem Land vertrieben, auf daß an selber Stelle weitere der ständig expandierenden, auf Sklavenbasis arbeitenden Latifundien entstehen konnten.
Wie man sich sehr gut vorstellen kann, wäre dies für mich der ideale Zeitpunkt gewesen, aufzusteigen und meine wahre Bestimmung als Retter des Staates zu erfüllen, doch daraus wurde nichts, weil ich zu beschäftigt war. Es war das Jahr, in dem ich Ädile war. Von allen Ämtern des römischen Staates ist das des Ädilen das beschwerlichste, unangenehmste, forderndste und mit großem Abstand teuerste. Die Ädilen haben die Oberaufsicht über Märkte, Straßen und Gebäude der Stadt. Sie sollen gegen Wucherer vorgehen, die Ehrlichkeit der Bauunternehmer kontrollieren, verbotene Kulte aus der Stadt vertreiben, die Abwasserleitungen und Abflüsse sauber und in Ordnung halten und die Bordelle inspizieren.
Das Schlimmste jedoch sind die Spiele.
Diese ludi sind offizielle Spiele des Staates und umfassen Theateraufführungen, Wagenrennen, öffentliche Feste und all die besonderen Feiern zu Ehren der Götter. Der Staat selbst stellt nur kargeste Mittel für diese Aktivitäten zur Verfügung, deren Gesamtsumme zu einer Zeit festgesetzt wurde, als sowohl Rom als auch die Spiele noch sehr viel kleiner waren als heute. Alle Ausgaben, die diese Mittel übersteigen, und das waren mittlerweile etwa neunzig Prozent der Kosten, mußten von den Ädilen selbst bestritten werden.
Dann gab es noch die munera . Für munera brauchte man wilde Tiere und Gladiatoren, eine einzige munera konnte leicht mehr kosten als die gesamten übrigen Spiele zusammen. Fremde glauben häufig, die munera , wären staatliche Spiele, aber dem ist nicht so. Es handelt sich vielmehr um Bestattungsspiele, die ausschließlich von Privatpersonen finanziert werden.
In der Vergangenheit hatten gewisse Ädilen zur Mehrung der eigenen Popularität neben den verlangten ludi auch munera
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