Wolfsfeder
er wieder nach unten
und blieb lauschend im Flur stehen.
Die Verbindungstür zum Schuppen war zugezogen. Das war neu. Warum
hatten sie die Tür geschlossen? Ahnten sie doch, dass sie nicht die einzigen
Besucher waren? Wieder das Geräusch. Robin schlich näher an die Tür heran. Es
wurde lauter. Eine Art Schaben, vielleicht auch Stöhnen oder auch beides. Ein
Tier, dachte er. Es hat sich verlaufen und kann nicht raus. Na und? Was geht
mich das an? Es wird die ganze Nacht Theater machen und mich nicht schlafen
lassen. Seit wann stören mich solche Geräusche? Ich pfeife mir was ein, und
schon kann ich wunderbar abschalten. Und wenn ich nur wissen will, was hier los
ist?
Robin atmete tief ein und legte die Hand auf die altersschwache
Klinke. Sie knarzte, als er sie niederdrückte. Das andere Geräusch verstummte.
Er schob die Tür auf. Es war dunkel und roch noch muffiger als im Haus. Robin
nestelte sein Feuerzeug aus der Gesäßtasche und schnippte es an. Im Schein der
kleinen Flamme sah es aus wie beim letzten Mal, als er sich hier umgesehen
hatte: dreckig und schummrig. Sein Atem füllte sich mit dem Aroma von Schimmel,
feuchtem Holz und Erde. Am rechten Ende des Raumes stand die Zielscheibe, am
linken war die Schiebetür zu einem Abstellraum halb geöffnet.
Robin ging ein paar Schritte näher. Hier hatten sie Pfeile und Bögen
untergebracht. Er entdeckte eine Kerze und zündete sie an. Sie schossen nicht
nur mit Pfeil und Bogen: Robin nickte anerkennend, als er die Armbrüste
entdeckte. Er wandte sich wieder um und ließ seinen Blick durch den Raum
schweifen. Es hatte sich doch etwas verändert. Jemand hatte die alten Bänke und
Tische an die Wandseite geschoben, sodass die Mitte des Raumes frei blieb. Na
klar, dachte Robin. Das ist schließlich die Schussbahn. Ein lautes Knacken ließ
ihn zusammenfahren.
Hinter der Zielscheibe befand sich eine Abtrennung aus Spanplatten –
damit die Pfeile abgefangen werden, die danebengehen, überlegte Robin. Das
beantwortete aber nicht die Frage, woher das Geräusch kam. Er machte zwei
Schritte, bevor er Stimmen hörte. Der Schreck fuhr ihm so in die Glieder, dass
er sich später fragen würde, woher er eigentlich gewusst hatte, wie sinnvoll es
war, in dieser Situation Angst zu empfinden.
Es war zu spät, um noch zur Tür hinaus nach oben zu entkommen. Robin
drückte den Docht der Kerze zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen, blickte
sich gehetzt um, lief dann auf Zehenspitzen zu den an der Seite aufgetürmten
alten Möbeln und verkroch sich unter einem Tisch, während er betete, dass sie
die klapprige Leiter im Flur übersahen. Es gelang ihm gerade noch, ein morsches
Holzbrett als Schutzschild vor seinen Körper zu schieben, als die Männer den
Raum betraten. Drei waren es. Einer von ihnen war der Anführer – Robin
erkannte ihn an seiner Stimme.
»Welcher Idiot hat die Tür aufgelassen?«
Robin konnte deutlich hören, dass er schnüffelnd einatmete.
»Außerdem stinkt es hier.«
»Hier stinkt es immer«, antwortete ein anderer.
Robin hielt die Luft an: die Kerze.
»Nun gut. Das soll uns jetzt nicht weiter beschäftigen. Macht ein paar
von den Petroleumlampen an.« Und einen Augenblick später: »Ihr wisst, worum es
geht?«
Niemand antwortete.
»Natürlich wisst ihr das.«
Da bin ich ja mal gespannt, dachte Robin und versuchte, sein mulmiges
Gefühl zu verdrängen. Der Tonfall des Anführers klang nicht nach
Pfadfinderspielen.
»Hilf mir mal«, erklang dann erneut die Stimme des Anführers, und
sofort waren Schritte zu hören, dann ein Schaben, als würden Möbel gerückt, und
angestrengtes Seufzen.
»Holt eure Armbrüste.«
Robin entspannte seine verkrampften Schultern. Wer zuerst dreimal
den Innenring trifft, gewinnt einen Sixpack oder ein Würstchen, dachte er und
hätte beinahe gekichert. Mit einer Hand schob er das Brett behutsam ein Stück
zur Seite und linste um die Ecke. Was er im dämmerigen Licht erkennen konnte,
ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Die Zielscheibe war beiseite gerückt. Vor der Wand aus Spanplatten
stand jemand. Eine Gestalt. Eine Frau. Mit gefesselten Händen und Füßen und
verbundenen Augen, einen Knebel im Mund. Starr und steif. Eine
Schaufensterpuppe, schlug Robins innere Stimme vor. Eine sehr zittrige Stimme.
Aber seit wann stöhnten Schaufensterpuppen? Der Anführer stand neben ihr und
hielt sie an einem Arm fest.
»Sie ist eine Feindin und Verräterin, die nicht zur Einsicht kommen
will, wie wir inzwischen
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